Chill mal dein Leben! Moment mal… geht das überhaupt?

Die Zunahme an psychischen Krankheiten, die stress- und überlastungsbedingt auftreten, wird in den Medien immer wieder mal erwähnt. Zudem gibt es auch genug körperliche Erkrankungen, die dauerhaftem Stress zuzuschreiben sind. Der Herzinfarkt als klassisches Beispiel ist dabei weithin bekannt. Das deutet letztlich darauf hin, dass der Lebensstil, vielmehr aber der Arbeitsstil ( denn wo sonst wird Stress wesentlich generiert, als im Beruf?) selbst bei augenscheinlich oberflächlicher Anpassung der Leute, ihnen doch in gewisser Hinsicht gesundheitlich nicht gut tut, vielmehr: schadet. Vermeintliche Hinweise von Magazinen, die sich mit stressbedingten Erkrankungen beschäftigen: ” Man solle seinen Lebensstil entsprechend anpassen und entschleunigen”, wirken dabei wie blanker Hohn. Warum Hohn? Weil es dem Individuum zugeschrieben wird, den Stress a) offenbar selbst zu generieren, denn es könnte ihn b) ja auch selbst herunterfahren.

Dass allerdings in einem System, das offenbar nicht mehr für die in ihm lebenden Menschen existiert (sondern dem Generieren von Mehrwert auf dem Rücken einer immer größeren Masse), ein einzelner Mensch seinen Stress kaum mehr beeinflussen kann, ist eigentlich klar: Will der Mensch gut und angepasst in der Mitte der Gesellschaft leben, muss er erfolgreich an Ausbildung und Arbeit teilnehmen. Somit beginnt schon in Schule  und Ausbildung Konkurrenz und Leistungsdruck, um mit bestmöglichen Noten später die größte Arbeitsplatzwahl – oder besser: überhaupt eine Chance – zu haben. Die Angst, hierbei abgehängt zu werden, ist dabei der größte Motivator.  Damit aber spielt Stress eine entscheidende Rolle. Schulkinder mit Depressionen sind traurige Zeugen dieses Druckmoments.

In der Schwebe der Wahl des Arbeitsplatzes dann besteht ein beständiges Castinggefühl mit aller dazugehörenden Angst vor Ablehnung (= “nicht gut genug zu sein?”), auf der Strecke zu bleiben, ständigem neu Hoffen und Bangen und des Gefühls, dass Menschen, die sich eigentlich für gleiche Inhalte und Lebenswege interessieren wie man selbst (und von daher für einen angeregten Austausch miteinander spannend erscheinen sollten), plötzlich als Konkurrenz um den begehrten Arbeitsplatz empfunden werden.

Hat Mensch dann endlich einen Arbeitsplatz, findet er sich selten in einer Stelle wieder, die ihn nach seinen Fähigkeiten entlohnt, sondern häufig den Preis auf das Minimum drückt –  anderes rechnet sich für ein Unternehmen meist nicht. Ausgehöhltes Arbeitsrecht, Überstunden, personale Reibereien, Angst vor Arbeitsplatzverlust und damit verbundene Existenzängste, von denen ein ständiges Gefühl des Müssens ausgeht, um den antreibenden Ängsten irgendwie zu begegnen, das alles generiert funktionierende, kleine Arbeitsroboter. Arbeitsroboter mit Stresshormonen im Blut. Die auf Dauer das Immunsystem negativ beeinträchtigen, den Schlafrhythmus durcheinanderbringen, die Ernährung erschweren und das Nervenkostüm ausdünnen. Sukzessive ergeben sich eine ganze Reihe körperlicher und psychischer Symptome, die den passend gemachten Arbeitsroboter bei fortschreitendem Stress befallen. Je nach Veranlagung und Ressourcen geschieht das mehr oder weniger, schneller oder langsamer. Und offensichtlich geschieht es als Folge der Anpassung an die Mechanismen aus Druck, Leistungserwartung, Existenzangst, die in dieser Gesellschaft systematisch greifen, um Menschen bei immer schlechteren Konditionen zu gleichbleibend hoher Arbeitsbereitschaft und generiertem Mehrwert zu bewegen.

Und dann gibt es in dem netten Magazin den Rat, stressärmer,  entschleunigter zu leben und Mensch verortet seinen Stress in sich – nicht hinterfragend, ob dieser nicht großteilig systemgeneriert ist. Sich vielleicht noch stressend mit dem Gedanken, nicht entspannt genug, angepasst genug zu sein. (“Warum macht mir alles so zu schaffen? Andere schaffen es doch auch! Ich MUSS besser damit klarkommen!”) Es wird wieder eine Fehlerverortung im Selbst vorgenommen und Druck zur Selbstoptimierung aufgebaut. Das bedeutet jedoch meist noch mehr Stress und ist folglich noch schlechter für die Gesundheit.

So wird der Einzelne durch sich selbst  und durch andere auf Anpassungsschwierigkeiten zugeschrieben, wenn er körperliche oder geistige Stresssymptomatiken zeigt. Was dabei nicht in den Fokus gerät und auch gar nicht geraten soll, ist, dass das System in seiner Konstruktion und Art, wie es die Menschen in ihren Lebenslauf einbindet, den permanenten Stress generiert. Was auch nicht oder nur peripher auffällt, ist, dass immer mehr “Einzelne” solche Stresskrankheiten haben. Was eigentlich ein Indiz dafür sein sollte, dass es im Einzelnen nicht verortet sein kann, da es kein Einzelfall mehr ist.

Es geht aber offenbar nicht darum, den Menschen ihren Stress wirklich nachhaltig zu nehmen, sondern viel eher darum, das Maximum herauszuholen – und das scheint optimal nicht mit entspannten Individuen, sondern mit “etwas Druck”. Das System mag sich dieser erzeugten Zwänge in größerem Stil erst annehmen, wenn diese Gewinnoptimierung kippt, zu viele “Einzelfälle” stressbedingt ausfallen und nicht mehr Mehrwert, sondern Kosten generieren.  Bis dahin scheint die Selbstoptimierungsmühle bereitwillig gespielt und der Druck gerne noch etwas hoch gesetzt zu werden. Zum Melken des Goldesels Staatsbürgertum. Die Kosten verbleiben beim Individuum. Und sie belaufen sich auf die Gesundheit. Aber da die Altersarmut ab 2030 eh bei  ~ 40% der Bevölkerung eintreten wird, ist Altwerden für viele auch nicht mehr das sexy Ziel von früher. Oder wie?

Von daher ein gutes Konzept: Das erwerbstätige Individuum stirbt zum hochgesetzten Renteneintrittsalter an stressbedingtem Herzinfarkt und kostete das Unternehmen und den Staat damit als Musterbürger keinen Cent. Kein Wunder also, dass es kein Interesse an systembedingtem  Stressabbau gibt. Es hätte weniger Arbeitszeit, weniger Leistung und weniger Gewinne zum Ergebnis und darum geht es doch bei der Religion Kapitalismus: Gewinne und Mehrwert. Die Menschen sind da nur Mittel zum Zweck, ihre Gesundheit bittesehr privat.

Erst wenn es zu vorzeitigen Arbeitsausfällen kommt und es viele Menschen sind, wird es bemerkens- und systemrelevant. Vielleicht wird dann auch eine konzeptuelle Änderung erwogen. Immerhin. Wie wir eingangs bemerkt haben sind wir mit den steigenden Zahlen der Stresskrankheiten dann ja auf dem besten Weg!

el.Frida.e