Der Bug oder die Kollateralschäden des Kapitalismus

Es kam mir dieser Tage in den Sinn, dass in dieser Gesellschaft des fortgeschrittenen Kapitalismus etwas vielleicht Wesentliches geschehen ist, das dazu beiträgt, dass die Menschen einerseits soviel Leere empfinden und andererseits bis zum Erbrechen Spaß konsumieren wollen:
Vor einiger Zeit noch war Arbeit eine sinnhafte Tätigkeit. Sie diente direkt  dem Nahrungserwerb oder dem Überleben (zum Beispiel durch das Ackerpflügen, dem Sammeln von Früchten, dem Erbauen einer Behausung,…).
Es musste nicht hinterfragt werden, war einleuchtend sinnhaft für das eigene Überleben und zudem meist eine körperliche Tätigkeit, von der die Natur es so eingerichtet hat, dass sie Dopamin, Adrenalin, “Glückshormone” ausschüttet. Das führte in doppeltem Sinne zu einem guten Gefühl, weil man sich körperlich auch gut fühlte und einen direkten Bezug zur Sinnhaftigkeit sah.
Somit war Arbeit also anstrengend, aber auch befriedigend und sinnhaft zugleich.
Heute ist das komplett entzerrt: „Arbeit“ bedeutet sehr oft eine unsinnige Tätigkeit (Callcenter, Kasse, Regale einräumen, Schreibtischarbeit, Putzfachkraft,…) oder zumindest eine, die keine direkte Brücke zum eigenen Überleben schlägt. Letzteres muss erst abstrakt realisiert werden durch den Bogen des Geldverdienens.
Zudem sind die Tätigkeiten oft hohl, unbefriedigend, stressig und auslaugend.
Eher negativ wirkende Hormone und Neurotransmitter werden ausgeschüttet (das Stresshormon Cortisol zum Beispiel).
Im fortgeschrittenen Kapitalismus ist dies selbst bei Tätigkeiten der Fall, die dem Ausführenden eigentlich liegen oder für die er Interesse entwickelt (was ohnehin nur sehr wenigen Menschen vergönnt ist). So sorgen Stress, Druck, Konkurrenz dafür, dass selbst bei solchen Tätigkeiten viele negative Emotionen im Spiel sind.
Die Arbeitstätigkeit wird also häufig als unsinnig (nur abstrakt dem Überleben dienend), negativ (stressig u./o. unbefriedigend), auslaugend empfunden.
Auf der anderen Seite gibt es dann in der kurzen Zeit der eigenen Freiheit (=Freizeit) Unterhaltungsmedien, die konsumiert werden. Diese erfordern nahezu keinen Einsatz (man kann dazu zum Beispiel auf der Couch liegen und leckere Dinge essen) und erzeugen dafür ein Maximum an Ablenkung von der Leere und empfundenen Sinnlosigkeit des Alltags und dem ausgelaugten Selbst.
Man kann sich tagelang zutrashen, zudröhnen und (mit Dopaminrauschen belohnt) die Sinnlosigkeit des Alltags und die Probleme auf der Welt, die man nur noch ohnmächtig in den Nachrichten passiv konsumieren kann, vergessen.
Kein Wunder, dass sich so viele Menschen nach der Sinnlosigkeit oder Stressüberlastung ihrer notwendig verrichteten Tätigkeit in das hedonistische Zudröhnen mit Medien oder verschiedenen bewusstseinsverändernden Substanzen / Drogen in eine angenehme Parallelrealität flüchten, anstatt die Welt ein bisschen besser machen zu wollen.
Die ursprünglich sinnhafte Arbeit für das Überleben, die gleichzeitig anstrengend und befriedigend ist, gibt es so nicht mehr (oder nur noch sehr selten). Sie wurde entzerrt in zwei Pole: hohle, aushöhlende Pflicht einerseits. Und das hedonistisch maximale Plaisier andererseits. Eine Gesellschaft mit Zuckerbrot und Peitsche.
Die Peitsche heißt Existenzangst und treibt fortlaufend zur aushöhlenden Pflicht. Das entstandene Loch wird nach der Arbeit begierig mit Trash gefüllt.
Es entstehen kaputte Menschenzombies, die nicht verstehen, warum sie sich bei all der Arbeit und all dem Konsum so kaputt und leer fühlen- wenn sie denn im besten Fall so empfindsam sind, dass sie das noch mitbekommen und hinterfragen.
Viele jedoch sind nur noch Systemzombies. Spielen mit, sammeln Spielbelohnungen, das Konsumierte wird zu ihrer Wahrheit, das Spiel aus Strampeln im Laufrad, getrieben von Angst und hirnlosem Trashkonsum zu ihrem Horizont.
Diese Systemzombies sind Opfer des Systems und Systemerhalter zugleich.
Durch ihr fortwährendes Mitspielen ohne einen Gedanken an ein Jenseits ihres Tellerrandes, an ein anderes Leben, durch ihren Glauben an das Spiel hier, läuft es weiter.
Die meisten öffnen erst die Augen, wenn sie zwangsmäßig aus ihrer Blase erwachen, weil sie auf einmal zu der stetig wachsenden Zahl der Verlierer gehören.
Denn es ist nicht so, wie das Spiel ihnen flüstert: Nicht jeder kann  gewinnen, wenn er nur hart genug arbeitet. Vielmehr verlieren immer mehr, egal wie hart sie arbeiten.
Es werden mehr und mehr. Nicht nur Menschen im Hier. Auch ungezählt viele im Süden dieser Welt für ein paar wenige reiche Menschen im Norden.
Namenlos viele nichtmenschliche Lebewesen kommen auch täglich unter die Räder dieses Spiels.
Wir bezahlen mit fremdem Leben!
Und am Ende stellen wir fest, dass nicht die paar, die am härtesten gearbeitet haben, das Spiel gewinnen. Sondern nur die Handvoll der Gierigsten unter uns Menschen. Empört werden wir uns verraten fühlen – wenn wir denn überhaupt noch fühlen, wenn wir uns überhaupt noch empören können.
Mag sein, diese Wut kann noch ein paar Male abgewendet werden, indem die Gierigsten unter uns ihren Schatz verbergen und auf jene zeigen, die aus Verzweiflung um ihr nacktes Leben kämpfen, kommend aus dem „ganz Unten“ dieses Spiels – das sie sich weder zu Schulden kommen ließen noch jemals hätten mit noch so viel Arbeit ändern können (zum Beispiel sogenannte Flüchtlinge).
Dann sind sie vielleicht eine Weile die Sündenböcke und der Systemverlierer, dem System immer noch hörig, einen Schuldigen suchend, ist froh, dass das System ihm einen solchen offenbart.
Und dann hauen hohle Systemopfer, die nichts haben, auf noch ärmere ein und die gierigen Gewinner reiben sich die Hände: Sie bleiben unerkannt als Spielbetrüger – oder Betrugsspielerfinder- und müssen von ihrem unverdienten Reichtum nichts teilen.
Aber – was solche Gewinner nicht wissen können – weil so etwas nicht sehen kann, wer gierig ist:
… Am Ende… Am Ende werden wir alle verlieren.
Wir verlieren zuerst Liebe, Größe und Moral. Das schon lange.
Diese wichtigen Bausteine sind nicht nur essentiell für eine bessere Welt, sondern  auch zum Ziehen der Notbremse. Und wird diese nicht gezogen, verlieren am Ende auch die Gewinner und Spielregelerfinder, die Gierigsten dieses Spiels: Sie verlieren ihren Boden unter den Füßen, sie verlieren ihren Lebensraum. Und ihr Leben damit.
Denn der Mensch scheint die einzige Spezies, die sich selbst die Lebensgrundlage zerstört.
Ein global-gesellschaftlicher Suizid mit nicht einem einzigen menschlichen Gewinner, ist worauf wir uns stetig zu bewegen – und die Gierigsten unter uns ganz vorne, stetig vorantreibend auf diesen Abgrund.
Der Mensch ist nicht nachhaltig – in doppeltem Sinne: Er kann weder nachhaltig handeln oder leben, noch wird er bestehen bleiben.
Wie ein eingebauter Bug, vielleicht jedoch eine Art stille Selektion der Natur, wenn der Mensch den Bogen aus einem gierigen Gegeneinander nicht in ein Miteinander findet.