Mängelexemplar oder Überlebenskünstler*In? Warum Diagnosen wie lila Leggins mit Eingriff besser im Schrank von vorgestern bleiben sollten. Und wenn man die Leggins doch nochmal tragen will, man die Diagnose aber drin lassen sollte…

In unserem Miteinander gibt es viele – Unmengen! von- Bewertungen, Urteilen, Prognosen über andere Menschen. Sie finden sich sowohl direkt in der Kommunikation mit dem Gegenüber oder als Urteil über jemensch Dritten.

Nach den Maßstäben der gewaltfreien Kommunikation werden solche Zuschreibungen als gewaltvoll und festschreibend aufgefasst, was durchaus nachvollziehbar scheint. Vom Handeln eines Menschen Interpretationen über das Motiv oder gar den Charakter zu bemühen, ist ein Sport, der zwar sehr menschlich scheint, jedoch auch genau das ist: eine SUBJEKTIVE Interpretation der Motive hinter dem Verhalten. Das kann leicht meilenweit an der eigentlichen Intention des Handelnden vorbei urteilen, dabei viel Leid verursachen, da Menschen sich verkannt und nicht gesehen fühlen. Das wiederum nährt nicht gerade das Wir-Gefühl zwischen den Beteiligten und sagt manchmal vielleicht mehr über den Urteilenden und seine Kognition aus, als über den Handelnden selbst.

Eine Hilfe für mehr Miteinander und vielleicht weniger zuschreibungsbasierte Missverständnisse ist es, wenn mensch beim beobachteten Verhalten bleibt und nachfragt, was denn Absichten dahinter wohl waren. Das ist nicht immer leicht, aber wenn es probiert wird, funktioniert es überraschend konstruktiv in Konflikten oder Situationen mit Fragezeichen über den Köpfen, ist zumindest meine Erfahrung.

Auch positive Urteile scheinen nicht „ohne“ zu sein. Eher so „mit“…

Da man die positive Bewertung anderer vielleicht in seinen Selbstwert einbaut, dann jedoch in dem Maße von ihr und den anderen abhängig wird, in dem man Angst hat, dieses Positivurteil wieder zu verlieren.

Die jedoch pikantesten, bzw. festschreibendsten Urteile, da auf gesellschaftlicher Ebene mit entsprechendem Stigmatacharakter stattfindend, sind meiner Meinung nach psychologische Diagnosen. Besonders jene der Kategorie: „Persönlichkeitsstörung“.

Zuallererst wohl deswegen, weil es eine gesetzte Norm impliziert, von der abweichend im man dann nicht mehr als normal in seiner Persönlichkeit, seinem Affekt, seinem Sein gilt. Wer setzt diese Norm? Und sind wir nicht alle Menschen mit einer natürlichen Diversität in unserem Sein? Sollte das nicht alles Normbereich des menschlichen Seins sein?

Weiterhin kommen mir Zweifel an der Objektivität der „Störungsdiagnosevergabe“.

Denn davon mal ab, dass es für individuelle Menschen mit ihrer persönlichen Entwicklung keine einheitliche Schublade geben sollte und kann. Es ist auch derart abhängig von den geteilten Informationen des Patienten UND dem Sichtwinkel des Psychotherapeuten, welche Diagnose schlussendlich gegeben wird. Je nach beschautem Symptom (werden überhaupt alle genannt?) und wie umfangreich beschrieben, nach Vorprägung der Denkrichtung und Erwartungshaltung des Therapeuten durch seine Erfahrung kann eine Diagnose bei gleichen Leiden beträchtlich variieren. Mich erinnert das immer an dieses Bildnis, bei dem zehn Menschen in Dunkelheit ein Tier ertasten und zuordnen sollen. Je nachdem, welches Körperteil gerade ertastet wird, rät jeder von ihnen ein anderes Tier, das eigentliche Tier wird in dem Gleichnis weder erkannt noch benannt.

Vergleichbar scheint es auch mit derlei komplexen, dabei schwammigen Größen wie psychischen Symptomen und darauf aufbauenden Diagnosen. Gerade in der Psychiatrie und bei so komplexen Thematiken wie Persönlichkeits“störungen“ kommt es leider immer wieder zu Fehldiagnosen.

Dennoch wird mit solcher Leichtigkeit etwas so Mächtiges, da Zuschreibendes, wie eine psychische Diagnose gestellt. Von der „personifizierten Gesundheit“ aka dem Therapeuten über das leidenden Symptombündel mittels aller Autorität der Fachwelt. Das ICD – 10 und vielen wichtigen Fachbüchern und standardisierten Fragebögen im Rücken, in denen alles genau kategorisiert ist. Nämlich: Was noch normal ist. Und: Was nicht mehr. Und wie oft was ab wann auftritt. Auftreten darf. Oder eben nicht.

Wieviel Affekt noch „O.K.“ ist und in der Norm liegt und ab wann das dann aber schon krank ist.

Dabei wird dann ein unscheinbarer, rosa farbender Zettel ausgefüllt. Und mit einem kleinen Schwung landet der Mensch gegenüber in einer Schublade, in der er sich vielleicht selbst nie sah: der der Kranken. Das Buch sagt ihm dann unter Umständen, er kommt da übrigens auch nie wieder raus. Plötzlich ist da ein großer Graben zwischen ihm in der Schublade und den anderen, Gesunden. Vor allem ein Selbstwertgraben. Ein Identitätsgraben. Vielleicht bekommt mensch noch Psychopharmaka verschrieben. Eine große Krücke für einen Gips an einem unsichtbaren Bein. Das man keinem zeigen darf, denn normal sollte man schon sein. Dafür dass man das wieder wird, gibt es dann auch Tabletten. Die können vielleicht helfen. An den Symptomen. Nicht an der Ursache. Es geht im gesellschaftlichen Sinn meistens ja auch eher um normal wirken. Normal funktionieren. Dafür zumindest. Taugen Psychopharmaka in den meisten Fällen. Eine Krücke zum Weiterhumpeln und Tempohalten. Aber der unsichtbare Gips. Die kaputte Seele. Ist ja eben kein Beinbruch in den Augen der Gesellschaft. Vor allem nicht der Leistungsgesellschaft. Das wird nicht gern gezeigt. Und genau hinsehen will man da meist auch nicht. Das kostet Zeit und Ressourcen. Therapien sind begrenzt an Anzahl und Umfang, das Erhalten eines Therapieplatzes bei einer guten Therapeutin gleicht dem Versuch, im Berliner Großraum eine bezahlbare Wohnung zu ergattern.

Das Eingangstor für selbst diese Therapie und leider auch der verbleibende Stempel auf der Stirn, bildet die Diagnose. Die psychologische Erkältung. Oder doch Krebs im Geist? Ja und heilen tut sowas ja wohl auch viel langsamer. Oder nie? Was sagte nochmal die Fachliteratur dazu?

Gab es eigentlich `ne Strickleiter aus dieser Schublade? Oder `ne Bombe für das ganze Schranksystem?

Grund Nummer Drei:

Wenn man es genau betrachtet, ist dieses für krank Erklären des Einzelnen in dieser Gesellschaft fast paradox, sind viele psychische Erkrankungen doch ein systemisch gewachsenes Problem, die nicht selten Querverweise auf die gesamte Gesellschaftlichen Haltungen und Normen beinhalten.

Ein Beispiel?

Es werden Menschen zum Idol in den Medien gemacht, die sich auf ein Niveau hungern, das stark untergewichtig ist. Die ihre Körper peinigen. Aber wenn junge Menschen als Konsument*Innen dieser Medien dann fast nichts mehr essen, um diesem Idol nachzueifern, wenn sie ein gestörtes Körperschemabild entwickeln und infolge dessen eine Essstörung, dann sind sie selbst die Kranken.

Auch Depression kann mensch systemisch anerlernt bekommen… Indem bei quasi allen selbst gewählten Lösungsversuchen aus einer misslichen Lage einfach niemals eine Verbesserung des eigenen unerträglichen Zustandes erreicht wird und mensch die Überzeugung erlangt, dass er die Fähigkeit zur Veränderung der eigenen Lebenssituation verloren hat und selbst dafür verantwortlich sei (erlernte Hilflosigkeit nach Martin Seligman). Das ist nicht selten. Zum Beispiel in einem prekären Arbeitsverhältnis mit hoher Anzahl an Überstunden und etwa vorherrschendem Mobbing, das mensch aber nicht kündigen kann, da die eigene Existenzsicherung daran hängt. Gleichzeitig fehlt Energie und Freizeit in dem Maße, um stabilisierende Ressourcen aufzubauen oder zu verstärken. Dieses Spannungsfeld weiter auszuhalten und darüber depressiv zu werden, ist ein möglicher Verlauf. Charakterisiert wird dann jedoch die Person als krank. Die Diagnose lautet in diesem Fall unter Umständen dann übrigens Anpassungsstörung und klingt fast zynisch im Nachgang.

Ein weiteres Beispiel: Bindung, als enge Beziehung zwischen zwei Menschen charakterisiert, wird in ihrer Qualität vor allem im Säuglings- und Kleinkindalter durch das Verhalten der Bezugsperson zu ihrem Schutzbefohlenen geprägt. Ist sie beispielsweise aufmerksam und versorgend, wird das Kind aller Wahrscheinlichkeit nach sicher gebunden, verhält sie sich abweisend oder ambivalent, wird das Kind unter Umständen eine unsichere Bindung zu seiner Bezugsperson erlernen. Denn: Erfährt das Kind Misshandlungen oder große Instabilität im Umgang mit der Bezugsperson, kann es keine adäquate Bindung aufbauen, da die Person, die Schutz und Zuflucht, gleichzeitig auch Gefahr bedeutet. Das schlägt sich buchstäblich im Bindungsverhalten des Kindes nieder. Es kann unter anderem unsicher vermeidende oder ambivalente Bindungsstile entwickeln. Oder sogar, bei schweren Misshandlungen noch Störungen erleiden (siehe Bindungstheorie, vor allem nach Bolby und Ainsworth). Diese Qualität der frühkindlichen Bindung wird als relativ stabil angesehen. Das heißt, dass sich das erlernte Bindungsverhalten von der Bezugsperson bis in das Bindungsverhalten eines erwachsenen Menschen fortsetzt. Dass, was einem Kind an Sicherheit oder Unsicherheit in Bezug auf die Anwesenheit und Konstanz der Bezugsperson vermittelt wird, auch sein Weltbild und Vertrauen in das Gegenüber im Erwachsenenalter prägen. Bei schlimmen Misshandlungen im Säuglingsalter durch die Bezugspersonen erlebt das Kind unter Umständen derartige Störungen des Vertrauens, dass sich eine Borderline-Persönlichkeitsstörung herausbilden kann. Die vor allem negative Affekte bezüglich des Selbst, aber auch massive Probleme mit Nähe, Distanz, dem Vertrauen in Bindung und Nähe für Betroffene mit sich bringt. Die Diagnose jedoch benennt nur den Menschen selbst als Wesen mit „gestörter Persönlichkeit“. Zu dem Zeitpunkt, als diese verursacht wurde, war der betroffene Mensch nicht selten noch ein Kleinkind. Mit der Schublade zu leben, in der er dann steckt, ist eine Aufgabe, die er zu den sich fortsetzenden Leiden von mangelnder Zuwendung in jüngster Zeit auch noch zu tragen hat.

Eine Diagnose benennt nicht die Umstände, die zu den Leiden führten, nicht etwaige traumatische Ereignisse, nicht das System. Die Diagnose bekommt der Mensch allein gestellt, von alledem Mitwirkenden entkoppelt. Ein Wort. Ein Stempel. Ab diesem Zeitpunkt für immer darauf zugeschrieben. Vor anderen. Vor sich selbst. Wird aus einem Menschen, der vielleicht viel durchlebt hat, bestimmt Mechanismen zur Bewältigung fand, die jetzt nicht mehr optimal funktionieren, eine pathologische Ziffer. F43.2 Anpassungsstörung. F 60.31 Borderline – Persönlichkeitsstörung.

Auch im Alltag. Im Miteinander. Erst recht wirkend im Gegeneinander. Sogar im Kreis mit Freunden und Bekannten gibt es dann diesen kleinen, unscheinbaren Stempel auf der Stirn, der spätestens bei Diskrepanzen stärker zu leuchten, zu floureszieren scheint und zum Querverweis gereicht, um Aussagewertigkeiten des Stempelträgers zu senken. Nicht selten. Erst recht nicht bei vertrautem Umgang mit gewaltvoller Kommunikation.

Ich kenne Menschen, die hüten „ihre Diagnose“ aus diesem Grund wie einen traurigen Schatz, von dem kaum eine*r je erfahren darf außer die Person, die das Wort einmal bescheinigte – „der Therapeut“.

Sie sagen es nicht ihren Freunden. Nicht ihren Bekannten. Sie brauchen ewig, bis sie sich in dieser …“Schwäche“ zeigen. Weil Menschen diese wankelmütig auf kleinen Scheinen für die Krankenkassen ausgestellten Siegel für Monumente aus Basalt halten. Aus alles überdauerndem Urgestein. Riesig. Unveränderbar. Wahrhaftig. Weil Menschen grausame Dinge tun mit Urteilen. Erst recht mit solchen. Persönlichkeitsurteilen. Defizitbelegen. Sogar, wenn sie es gut meinen. Weil der Freundeskreis einen, immer latent von oben von der Sonnenseite bedauernd, noch fester in den Schlamm der permanenten Verzweiflung drücken kann, als man selbst es unter Umständen je täte. Geschweige denn, wenn es im Streit zur Abwertung über diese Schiene kommt. Das ist wie in aller Diskriminierung von Diversität für die Betroffenen oft sehr schmerzhaft.

Ich kenne auch Menschen, die klammern sich dann an diesen, ihren, Zettel- ihre Diagnose. Und leben sie. Es kann wohl identitätsstiftend sein, wenn es sonst an Halt fehlt. Aber auch das ist unglaublich traurig, einsam und – ja- festschreibend.

Sowohl, wenn man von außen mit einem Kommentar, Querverweis, bedauerndem Blick in die Schublade geschubst wird, aus der man gerade krakseln mag, in die man sich nie reinsortiert hatte, als auch, wenn man sich in ihr schon häuslich einrichtet, weil man den Mut verloren und wenigstens eine Form von Halt über Identifikation gefunden hat: Es verstellt einem nicht weniger als alles. Nämlich: Das freie, wilde, große und einzige Über-sich-und-seine-Wunden-hinauswachsen!

Es mag sein, diese Schublade fasst Symptombündel bestimmter Leidenspunkte und Ungereimtheiten im eigenen Leben zusammen und mensch ist in bestimmten Aspekten auch beschreibbar durch dieses Symptombündel. Vielleicht sogar korrekter Weiser im Leiden erfasst. Aber eben nur AUCH. Nicht: NUR. Diese Verengung auf das Pathologische, dieser Tunnelblick, der einen kompletten, meist sehr starken und kampferprobten Menschen hinter einem seelisch-kränklichen Wort verschwinden lässt, ist genau aus diesem Grund gewaltvoll: WEIL der Mensch verschwindet. Weil vergessen wird, dass er so viel mehr ist, als eine Diagnose. Weil er das selbst vergessen kann darüber. Gerade bei so festschreibenden Urteilen wie „Persönlichkeitsstörungen“. Eine falsche Persönlichkeit? Eine verkackte Existenz. Bescheinigt. Meist bei vollem Bewusstsein.

Weil ein Mensch, der viel Schlimmes erlebt hat, zuerst einmal viel Schlimmes ÜBERlebt hat. Was oft nicht gesehen wird. Weil er wohl Stärke haben musste mit dem Erlebten. Mit den verbliebenen Leiden. Die vielleicht viel wichtiger ist für den Fokus, als seine „Defizite“.

Weil er jenseits dieser Defizite vielleicht ganz ungetrübt „normal“ mit dem Leben und der Welt umgehen wird – und wenn das nicht der Fall sein sollte, doch mal die Frage gestellt werden sollte, wer hier eigentlich definiert, was normal ist. Und wie eine normale Reaktion auf krasse Lebenserfahrungen wohl aussähe. Ob die Person nicht vielleicht sogar ganz normal reagiert hat auf ihre Erlebnisse. Mit quasi natürlichen Bewältigungsversuchen und Reaktionen der Psyche.

All das wird nur meist nicht beschaut und viel zu oft beläuft sich der Tiefenblick nach so einer Diagnose auf den Eintrag zu Symptomen und (noch festschreibender:) Prognosen in Büchern und Wikipediaartikeln. Deep.

Und Menschen laufen dann mit ihrem Stempel herrum und können vor der Gewichtigkeit der von der Fachwelt ausgestellten Diagnose als (Ver-)Urteil(ung) nicht entfliehen. Selbst wenn sie es eigentlich könnten und das gar nicht so schwer wäre, so sorgt oft das Wissen um „die Wahrheit“ über das vermeintlich Wahre im Selbst ,von Fachkreisen für psychische Gesundheit ja bescheinigt, oft schon für eine selbsterfüllende Prophezeiung – ein bekanntes psychologisches Phänomen, bei dem das Wissen / der Glaube an einen Ist-Zustand (z.b. unheilbar psychisch krank) das Subjekt sich so verhalten lässt, dass dieser tatsächlich eintritt. So irrbar und unpräzise die Urteile auch sein können (siehe oben) und so überworfen auch ganze Kategorien im DSM-V und ICD-10 in fünf bis zehn Jahren auch sein werden, da hier immer wieder neue Entwicklungen und Verwerfungen stattfinden, seit Jahrzehnten. Für die einzelne Person bleibt es im Jetzt durchaus traurige Realität, Träger dieses Markers zu sein.

Deshalb ist das Kategoriesieren anhand psychiatrischer Diagnosen für mich die gesellschaftliche Ebene gewaltvoller Kommunikation wie es auch so viele Urteile zwischen und über Menschen sind. Mit weitreichenderen Folgen. Die an dieser Stelle aus Gründen der empfundenen sozialen Normabweichung und der eigenen Defizitwahrnehmung dann häufig genau dem entgegen stehen, an dessen Prozess sie ein Ausgang sein sollen: dem Wachsen. Dem Heilen. Das ist paradox.

Wenn ich sage: ich persönlich bin stark gegen Urteile. Auch in diesem gesellschaftlichen Rahmen. Wofür bin ich dann stattdessen?

Stattdessen bin ich dafür, dass der Mensch als das gesehen wird, was er ist: Ein Individuum, das im Laufe seines Lebens unterschiedliche – mutmaßlich auch sehr schwere- Erfahrungen gemacht hat, die er unterschiedlichen Mechanismen sei Dank mehr oder weniger gut bewältigen und zumindest erstmal überleben konnte. Vielleicht ist mit diesem Mindset der Umgang mit sich, der Welt, bestimmten Erfahrungen im Jetzt dann nicht optimal oder auch leidvoll. Weil die Mechanismen damals lebensnotwendig waren, jetzt aber vielleicht hindern am guten Miteinander. Oder weil Narben geblieben sind, die im Alltag wieder schmerzen. An dieser Stelle ist und bleibt immer das Individuelle das Entscheidende. Und die -sowieso stattfindende- Anamnese, die persönliche Geschichte, was mensch an Stärken und Mechanismen entwickelt hat, wo „es fehlt“ und welche Tools noch gebraucht werden in bestimmten Bereichen, kann im Gespräch mit dem Therapeuten erarbeitet werden. Ich möchte bezweifeln, dass hierzu eine Diagnose nötig ist. Dass sie zum Heilen wirklich gebraucht wird. Geht es doch im Kern um das Stärken der Ressourcen und das Erarbeiten weiterer Tools. Für die Stellen, an denen es noch hakt, an denen noch Brücken über Abgründe fehlen. Das wäre handlungs- und lösungsorientiert. Es würde ermöglichen, das Erfahrene hinter sich zu lassen und den guten Umgang mit dem Kommenden schulen. Dabei die eigenen Ressourcen fokussierend, nutzend und ausbauend, um Defizite zu überwallen. Eine Diagnose hingegen greift vor allem auf, was den Menschen an Defiziten ausmacht(e). Sie hält damit unsinnig am Vergangenen fest, indem sie es auch noch in die Gegenwart schreibt. Sie steht dem nötigen Selbstwert und Mut zum Wachsen der Ressourcen und des Selbst über alte Wunden hierbei oft nur im Weg. SIE gehört in die Schublade mit dem Label „gestern“ darauf. Dann kann der Mensch dahinter sich frei entfalten und unverstellt auf seine Stärken blicken, statt auf seine vermeintlichen Defizite. Denn diese Stärken und nicht die Defizite – haben ihn bis hierher getragen, allen Widrigkeiten zum Trotz – und ihnen sollte der Fokus gebühren. Dann tragen sie „ihren“ Menschen mit Sicherheit auch noch weiter. In einen Zustand mit mehr Frieden mit sich und der Welt. Ein Ziel, das wir übrigens scheinbar alle mehr oder weniger haben.

Noch ein Gedanke zum Schluss: Wenn man wollte, könnte man in der heutigen Zeit wohl fast jedem Menschen eine Diagnose ausstellen. Es gibt nicht: DEN gesunden Menschen. Es gibt kurze Perioden von relativer körperlicher / seelischer Gesundheit. In seinem Leben erleidet jede*R allerdings Tiefs, Krankheiten, Unwegsamkeiten an Körper UND Geist. Und wir haben alle immer gesunde UND kranke Anteile in uns. Von ganz am Anfang bis zum Schluss.

Dichotome Kategorien wie gesund / krank werden der Komplexität unserer diversen Spezies nicht gerecht, da sich die Menschen nicht in sie einteilen lassen, sondern immer Anteile beider Pole in sich tragen. So gesehen sind wir alle gesund und krank. Sind wir alle normal-verrückt. Nur die Anteile variieren. Und es ist für uns alle schöner, das einfach als solches im Ganzen zu sehen. Und im Einzelnen die gesunden Anteile zu stärken und die vermeintlichen Defizite als nicht ganz gelungene Bewältigungsmechanismen zu würdigen und ihnen beim Wachsen zu helfen.

Wider dem Mehrwert. Teilen ist mehr wert!

In den letzten Monaten habe ich vor allem Gedanken gesammelt, die kürzere und eher skizzierte Betrachtungen über unser Miteinander darstellen. Da es nicht immer ein in sich geschlossenes Textwerk sein muss, mag ich sie gerne teilen und Denkschnappschüsse auf das Leben wie kleine Mohnsamen in die Welt streuen. Und mit euch vielleicht weitere Perlen auf der Kette der Betrachtungen Sammeln.

Passend zum Teilen von Gedanken… der nachfolgende Text über das Teilen. 🙂

 

Geben als Geste von Innen nach außen. Als das Verbindende mit der Umwelt. Das Mitfühlende. Und auch: Mutig, unerschrocken ob der eigenen Ressourcen. Das Vertrauen, dass mensch immer genug ist, auch wenn er das noch abgibt. Und dass er sich auch genug sein wird in dem Versorgen seiner Selbst.

Ständiges Nehmen und nur darauf sehen, was mensch sich noch aneignen kann, als Enteignen der Umwelt und Aneignen für einen selbst. Es hat etwas Trennendes. In Bezug auf die Umwelt etwas Missgönnendes, Egoistisches, man selbst wähnt sich mehr Wert für den Verbleib dieser Ware, als die Umwelt. Man zweigt es aus der Umwelt ab, hält es ihr vor. Suggeriert sich dabei aber auch, dass mensch alleine nie genug ist. Dass mensch immer noch etwas hinzufügen muss und noch etwas. Dass es nie reicht, weil offenbar unten drunter die Angst so groß ist, dass das alleinige Ich – ohne nur zu nehmen oder gar mit geben- nie reicht. Für sich allein genommen. Oder, um sich durch zu bringen. Man nimmt damit vor allem Eines: Sich selbst das Vertrauen, dass man auch ohne fortwährendes Raffen genug ist. Und das Schöne, unschlagbar warme Gefühl der Verbundenheit mit anderen, wenn man teilt. Auch wenn das vielleicht kurz schwer fällt, bekommt man soviel mehr zurück. An Vertrauen in sein Selbst, das reicht, auch wenn man gibt. An Freude mit den anderen und an Mehr um einen schönen Moment.

Es dreht sich also in sein Gegenteil: Was erstmal scheinbar reicher werden lässt, macht letztlich in aller Konsequenz durchgeführt ärmer und innen leer. Es fehlt Vertrauen, es fehlt Wir und das weiß mensch und merkt er und es macht ihn hohl, wenn er es nur für sich nimmt und behält. Auch wenn er aussen glitzernd vermehrt.

Was erstmal scheinbar weniger macht, ist eben durch die Größe und den Mut, dass man es trotzdem macht-geben, teilen- bereichernd. Für einen Selbst und das Stärken in den Optimismus am Leben und an sich: Es wird schon gut gehen, ich werde mich schon durchbringen, auch wenn ich dann weniger habe. Und es stärkt das Wir und die schönen Momente. Und das alles ist um so vieles Bereichernder, als es jedes Materium nur zum Horten gedacht jemals sein kann. Und wenn das viele machen, haben am Ende alle mehr und Bunteres im Zusammenspiel der Ressourcen, als jemensch für sich alleine sammeln könnte. Im Innen und im Außen. 🙂

# was ist blos mit den Leuten los???

Eins.

Ich laufe in einem Wald- und Auslaufgebiet nahe meiner Wohnstätte mit meinen Hunden durch’s Grüne. Es gibt zu sehen: Frisches, junges Grün, meist in Form von Buchen mit schimmernden, silbernen Stämmen wie Elefantenbeine und viel, viel Knoblauchsrauke. Wir stapfen so dahin, meine beiden alten Hunde, unser kleiner Gasthund für heute und meine Wenigkeit. Uns kommt auf einem Trampelpfad, der direkt neben einem großen, breiten Weg verläuft, eine Joggerin entgegen. Zwei Dobermänner in neonfarbenen – ich nenn es mal- “Sportanzügen” werden an der Leine mitgeschliffen. Es ist offensichtlich, dass zumindest der linke der beiden Hunde freundliches Interesse zeigt. Noch bevor jedoch irgendetwas Positives passieren kann, schreit mir die Frau mit ihrer Wasserstofffrisur zu: “Nehmen Sie die Hunde ran, wir sind im Sport!” “Okay, alles klar, Moment.”, lautet meine Antwort. Ich lächle unsicher und rufe meine Hunde zu mir. Alle drei kommen sofort und wir wollen ein Stück zurück gehen, um auf dem Weg neben dem breiten Weg auch noch Platz zu machen. Sie läuft aber immer weiter auf uns zu, der Gasthund indes ist unsicher bei Fronttalannäherung und bellt eifrig. In dem Moment, in dem ich ihn ablenken möchte, entwischt er mir und tippelt drei Schritte auf die Joggerin zu. Diese ist gerade jetzt auch noch in ihrem unbeirrbaren Schritt auf gleicher Höhe, etwa zwei Meter weg. Der äußere, linke Dobermann wedelt freundlich, mein alter Rüde auch und macht einen Schritt hinter den interessierten Dobermann her, um ein begrüßendes Beschnuppern einzuleiten, während ich immernoch versuche, den Gasthund einzusammeln oder irgendwie zu reagieren, wie gewünscht, was in der Kürze der Sekunden einfach nicht möglich war und mit drei Hunden im Auslaufwald auch einfach nicht vermutet, dass so eine -ich sage mal “Challange” ohne Geduld und Ausweichen- da überhaupt aufkommen würde. Da dreht sich die Frau fluchend um, tritt meinem alten Hund voll ins Gesicht, brüllt ihn an, er soll sich verpissen während er jault und mit eingezogener Rute zurückweicht. Dann in militantem Tonfall zu mir, immernoch brüllend:” Ich hatte ranmachen gesagt!” Ich bin wie benommen und binnen einiger Millisekunden höre ich mich sagen:”Dann bitte geben Sie mir doch einen Moment zum Reagieren!” Noch bevor ich mich überhaupt besinne, was mir da widerfahren ist, dass hier gerade jemand total übergriffig und sogar gewalttätig war, ist die Frau fluchend und joggend verschwunden.

 

 

Zwei

Ich laufe mit einer Freundin durch die Speckgürtelsiedlung von Berlin, durch die ich muss, um dahin zu kommen, was sich im Moment mein Zuhause nennt. Ich schreibe das deshalb so, weil das Laufen durch Speckgürtelvorstädte wirklich keine angenehmen Gefühle in mir weckt. Es hat all die Spießigkeit einer imaginären Kleinstadt im tiefsten Schwaben, es hat die Fülle an Menschen, die es in den Städten auch gibt, so dass die Weite einer dörflichen Idylle niemals aufkommt, da ständig BMWs und andere dicke Autos an einem vorbei- und um einen herumfahren. Es hat bei einer solchen Dichte an Menschen aber gleichzeitig nicht die Anonymität wie in Großstädten, wo jeder dann doch irgendwie seine Privatsphäre hat oder findet durch das Verschwinden im Gewusel des ganz großen Getümmels. So ist das nicht in Speckgürteln. Hier wird auf das Gegenüber geguckt, ja eher geäugt. Es wird bewertet, besser gewusst und kategorisiert. Es werden Gärten ordentlich gehalten und die Rasenkanten mit der Schere geschnitten. Es wird genau gewusst, wer nicht angepasst ist. Denn das ist das Dritte unangenehme an Vororten: Es sammeln sich dort nicht einfach Menschen. Es sammeln sich dort -mit Ausnahme Altanwohnender- Menschen gehobenen Einkommens mit genauer Vorstellung der Weltordnung (weiß; er geht arbeiten, sie halbtags und Kinder) und der Gartenordnung (alles schön gerade, zu den saisonalen Highlights wird geschmückt, als gäbe es dafür einen Oskar). Ein Haus sieht aus wie das andere, ein Garten wie der andere, ein Auto wie das andere, ein Mensch wie der Andere. Und die Lebensläufe auch. Noch ein Versicherungsvertreter. Guten Tag.

Wenn man durch so einen Ort fährt und man hat zufällig nicht das Kennzeichen von dort, sich aber dreister Weise wagt, dort an den dafür vorgesehenen Stellen zu parken, dann kann es schon passieren, dass die “besorgten Bürger” von nebenan das geparkte Auto meiner Freunde fotografieren oder die Polizei rufen, weil sie der Meinung sind “Die gehören nicht hierher”. Alles schon passiert. Irgendwie mehr erschreckend als lustig.

Aber zurück zur geschilderten Situation. Ich laufe mit einer Freundin durch die identischen Häuserreihen eben jenes Vorortes, der aussieht, wie eine Albtraumwelt aus Playmobil. Wir haben ein Fahrrad dabei und zwei alte Hunde. Meine Hündin ist angeleint, der alte Rüde nicht. Ich bin Hundetrainerin und muss die Hunde nach Gesetz nicht anleinen, um etwailigem Rechtsgepöbel an dieser Stelle vorzubeugen. Während wir so laufen, treffen wir auf eine alte Frau mit einem kläffenden Scotsch Terrier an der Leine. Mein Hund schnuppert an einem Busch, sichtlich bewegt von der olfaktorischen Welt darin, meine Hündin tippelt langhin mit uns. Die Frau ruft mit gnaziger Stimme “Nehmen Sie ihren Köter ran!”. Ich gucke sie fragend an, weil mein Hund nicht mal in ihrer Nähe ist und auch sonst keine rechtliche wie persönliche Notwendigkeit besteht, mich ihrem spontan geäußerten -ich nenne es mal “Wunsch”- zu unterwerfen. Ich sage freundlich “Das ist nicht nötig, der hört sehr gut und ist zu dem absolut umgänglich”. Währenddessen ergab das Lesen des Busches für meinen Rüden keine größeren Neuigkeiten mehr und er tippelte in etwa vier Meter Entfernung von der Frau, um sie und ihren kläffenden Hund einen Bogen machend, vorbei und trottete seines Weges. In dem Moment schreit die Frau aggressiv auf: “Nehmen Sie sofort ihren Köter ran oder ich sprühe ihn mit Pfefferspray voll!”

?????What.The.Fuck.?

 

Drei.

to be continued.

 

 

Warum die Fickt-euch-Allee keine Alternative zum blöden Huckelweg der Realität ist

Und während ich so durch das Konglomerat unserer Gesellschaft stolpere, in vorkonstruierten Lebensabläufen den schönsten Kanal zu wählen versuche, obgleich mir ein wild mäandernder Flusslauf viel lieber ist, bemühe ich mich fortlaufend, Zusammenstöße nicht nur zu verhindern, sondern sie auch zu verstehen.

So unglaublich viel Empörendes, Dummes schreit einem täglich ins Gesicht, man ist richtig benommen. Und immer wieder will man Anlauf nehmen, sich verständigen, Horizonte erweitern oder zumindest andere Sichtwinkel aufzeigen, Verständnis stiften oder zumindest Tippelschritte für ein Mit- statt Gegeneinander gehen. Aber so winzig sind die Schritte und so scheinbar mühelos breitet sich endlos fortSCHREItend die dumpfe Hasserfülltheit aus. Schreit dir mit schablonierten Schuldbildern an so vielen Orten durch so viele Münder entgegen.

Ich würde gerne Hände schütteln, statt die Faust zu ballen, lieber die Köpfe zusammen stecken, um gemeinsam an einem schönem, großen Wir zu basteln, anstatt immer wieder den Kopf zu schütteln. Ich würde gerne Hände ergreifen, die sich hilfesuchend ausstrecken, ohne zu fürchten, dass von anderer Seite und Sicht dafür Tritte in den Rücken anstehen. Ich hätte gerne weniger Angst. Weniger Angst vor den Menschen und wozu sie fähig sind – oft brauchen sie dafür ja „noch nicht einmal“ Hass. Ich möchte mutig sein oder wenigstens unerschrocken. Ich möchte unermüdlich sein oder wenigstens Optimistin. Ich möchte naiv und glühend kämpfen für das, was im Guten möglich ist.

Und dann lese ich soviel Ablehnung und Misstrauen in den Gesichtern und so wenig Lust auf ein Miteinander für alle. Und während ich mich wieder frage, warum, kommt mir immer öfter dieser eine, gefährliche, weil gleichgültig machende, Gedanke. Gleichgültigkeit, die gefährlich ist, wie ein Virus der dreckigen Dutzend, weil es viele Menschen infiziert, weil es die Gesellschaft lähmt, sie taub und dumpf macht auf so vielfältige Weise. Gleichgültigkeit, die auch mich in meiner Ohnmacht immer wieder besucht, in Form dieses einen Gedankens: erklärend und abschließend resigniert zugleich. Als scheinbare Antwort auf all die verstörenden Wahrnehmungen menschlich grausamer Taten kommt mir immer wieder dieser Gedanke, Heilung für den Moment versprechend und doch eine Kapitulation auf höchster Stufe: Immer wieder denke ich: Menschen, was lohnt es sich darüber überhaupt noch nachzudenken.!?!

Und dabei braucht es doch Empörung, dass sich hier irgendwas noch bewegt. Denn es ist nicht egal. Es ist verdammt nochmal nicht egal, wenn Scheiß passiert, oder schlimmer: begangen wird. Wenn Kinder in Syrien vergast werden und die Leute hier die Geflüchteten lieber im Mittelmeer ersaufen lassen, als ihnen zu helfen. Es ist nicht egal, dass hier noch so viel Krasses so grausam gleichgültig ist. ES IST NICHT EGAL.

Denn die Empörung darüber zu verlieren. Das scheint mir wie der Anfang vom Ende des Happy Ends.

Sonne im Gesicht!

Um die Positivität der Beiträge und die Freude bei unseren geschätzten Lesern  zu erhöhen, erscheint es uns sehr ratsam, ab und zu einen Witz zu posten, damit das Lesen auch mal nicht nur möglicherweise frustrierende Einblicke, sondern auch Spaß bringt. Denn das ist es ja, was uns durch den Tag auch in frustrierendem Großen und Ganzen bringt: möglichst viel Humor… (politisch soll er hier aber sein^^) sodenn…

Ein Banker, ein Hartz-IV-Bezieher und ein Bild-Leser sitzen am Tisch, in der Mitte eine Packung Schokokekse. Der Banker isst soviel er kann, steckt sich den Rest in die Tasche, sodass nur ein Keks übrig bleibt. Dann sagt er zum Bildleser: “Pass auf, der Hartz-IV-Empfänger klaut dir noch deinen Keks!”

 

 

The struggle for luck – ein Glücksspiel mit Würfeln oder doch eher “Russisch Roulette”? Wir haben nicht die Wahl, aber wir entscheiden doch alle!

Wie ist das mit dem Glück?

Ist es greifbar? Verdienbar? Gar käuflich?

Wenn man sich nur hart genug anstrengt, gut und bescheiden mit seinen Wünschen lebt und im richtigen Moment die richtige Entscheidung fällt, winkt einem das eine, große, innere und äußere Lebensglück, unken Lifestylemagazine und Lebenswegratgeber. Wenn man hart genug an sich arbeitet, sich in der Wohlstandsleiter Treppenstufe für Treppenstufe nach oben ackert und schließlich – natürlich nur vom Faktor der eigenen Arbeitsbereitschaft beeinflusst- “oben” ankommt und nennenswerten Wohlstand hat, ist man angekommen. Man hat ausgesorgt, man ist glücklich. So erzählt es das Lied des Kapitalismus- des Glaubensgerüsts unserer Gesellschaft.

Und es scheint auch, als gäbe es dann für jene, die sich nur richtig anstellen, die ewige Sonne, die aus Ihnen heraus und auf sie herunterscheint. Und sie scheint immerdar. Und sie scheint gerecht- nur denen, die es sich verdient oder zumindest die richtige, bescheidene Einstellung zum Glück haben, ihr Glück im Kleinen suchen, wenn schon nicht in der Lebensführung (als Leiharbeiter*in findet sich das Glück schlecht in der Lebensführung), dann in den kleinen, bescheidenen Situationen am Rande des Alltags. So verheißen es esoterische Ratgeber: Bescheide dich und du wirst glücklich.

Das erscheint richtig und grundfalsch zugleich.

Richtig, weil man immer tausende Menschen finden kann, denen es noch schlechter geht, die im Dreck leben, vielleicht totkrank sind, nicht wissen, woher sie die nächste Mahlzeit bekommen sollen,… und weil es vielen Menschen hierzulande, verglichen mit einer solchen Perspektive, wahrscheinlich sogar sehr gut geht und sie sich, auch in den beschissenen Bedingungen der Leiharbeit (um bei unserem Beispiel zu bleiben), wahrscheinlich sogar glücklich schätzen können, auch wenn es sich oft nicht nach Glück anfühlen mag.

Falsch erscheint dieser Rat zur inneren Bescheidenheit auf Winzigkeiten im Hier und Jetzt jedoch gleichzeitig wegen der Perspektive, die er benutzt. Mit Sicherheit machen kleine Momente Freude und allzu oft geraten genau diese unter die Räder in der Hetze des Alltags. Es ist gut, an die Schönheit des Kleinen erinnert zu werden. Jedoch suggerieren diese Arten von Glücksratgebern, dass es nur an der eigenen Einstellung liegt, wenn man kein freudvolles, glückliches Leben hat.

Dies ist ähnlich bei der verbreiteten Mär des Kapitalismus, dass jede*r, der sich anstrengt, es zu “etwas” bringen kann – und damit glücklich werden kann. Sich “Glück” im Sinne von “Lifestyle”, Urlauben, high-society-comfort, gar kaufen könnte.

Es impliziert damit im Kern genau den Schluss, dass, wer es “hier” zu nichts gebracht hat, nicht erfolgreich, glücklich und im Wohlstand gelandet ist, selber Schuld hat. Das Glück liege schließlich in der eigenen Hand, wenn du abgehängt wurdest und unglücklich mit deinem Leben bist – selber Schuld!

Das ist nicht nur schlicht und ergreifend falsch, es ist anmaßend! Zum “glücklichen Leben” gehören mit Sicherheit eine gewisse Grundversorgung der Bedürfnisse, Raum und Zeit zur Selbstverwirklichung, die Möglichkeit, selbstwirksam zu handeln. All diese Faktoren sind im Kapitalismus nicht abhängig von Anstrengung oder”wie sehr man sich bemüht”, sondern von zahlreichen gegebenen Parametern, wie die (familiäre) Herkunft, den Wohlstand der Eltern, einem gewissen Rahmen der finanziellen Sicherheit… Wenn Du arm bist, kannst du nicht auf deine Selbstverwirklichung durch Abitur und Studium hoffen, du wirst zusehen müssen, dass du arbeiten gehst und nach der 10. Klasse spätestens irgendwie Geld verdienen müssen. Wenn deine Eltern beispielsweise aus Pakistan kommen, kannst du noch so intellektuell begnadet und auch bemüht sein, wahrscheinlich wirst du erschwerten Zugang zu Bildung haben, mit verschiedensten Formen der Ausgrenzung und Zurücksetzung auch durch Lehrer konfrontiert und mit aller Wahrscheinlichkeit (solltest du überhaupt einen Ausbildungsplatz bekommen) innerhalb einiger Jahre, vielleicht mitten in der Lehre, abgeschoben. Selbst wenn du das nicht wirst, so kannst du dir sicher sein, dass schon das finden einer eigenen Wohnung jenseits der Geflüchtetenunterkunft ein Spießroutenlauf wird, wo dir deutlich klar gemacht wird, dass du, ganz gleich ob intelligent und sehr bemüht, mit deiner Herkunft ein Mensch zweiter Klasse bist, für den so etwas basales wie ein eigenes Dach über dem Kopf mit etwas Privatsphäre nicht selbstverständlich zu erreichen ist. Genauso wenig selbstverständlich wie das erreichen höherer Posten in der Erwerbstätigkeit. Tja. Es gibt eben “gute und schlechte Herkunftsländer” in diesem System.

Wenn du schlicht und ergreifend nicht in der Art und Weise intelligent bist, wue es in diesem System verlangt wird, kannst du es noch so sehr wollen und dich darum bemühen; du wirst das Abi wahrscheinlich nicht schaffen und fortan gehörst du schon nicht mehr zur Elite dieses Systems. Du  musst im Durchschnitt mehr harte Arbeit für weniger Geld leisten, wirst wahrscheinlich den Grad an Wohlstand, wie er verheißen wurde nicht erreichen oder sehr viel weniger Lebenszeit für Freizeit und Selbstverwirklichung übrig haben neben deinen ungezählten Arbeitsstunden. Deinen Spaß und dein Glück musst du dann in den paar Stunden des wöchentlichen Feierabends und am Wochenende suchen, währenddessen du wahrscheinlich zu müde bist für großartig mehr als Schlaf, Nahrungsaufnahme, Selbstreproduktion.

All diese genannten Beispiele sind Menschen, die nicht zur goldenen Gruppe der Gesellschaft gehören werden. Nicht, weil sie weniger wert oder schlechter sind. Einfach, weil das System lügt, wenn es verheißt, dass jede*r, der es nur will und genügend dafür ackert und schuftet, ganz oben ankommen könne. Vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen es oft nur die Persona in den Filmen Hollywoods.

Auch wenn du Akademiker*in bist, ist dein Tag vermutlich von früh bis spät mit Arbeit gefüllt. Du wirst mit Sicherheit mehr verdienen, hast aber ebenso wenig Freizeit, um deine Lebenszeit in persönliche Wünsche und Ziele zu “investieren”.  Du kannst dir sicher teureres Mobiliar leisten, die Urlaube sind vielleicht etwas exklusiver, gehobener. Die wenige verbleibende Freizeit bleibt dieselbe. Deine Selbstverwirklichung, dein Glück, eingeklemmt zwischen Alltagsstress im Kalender. Es ist nicht leicht, in diesen kurzen Pausen zu sich zu finden und die sonnige Mitte für sich auszuloten.

Es wird an den Beispielen recht offenbar, dass es so nicht geht. Dass es nicht an dem Wollen und Streben der*des einzelnen liegt, ob ein glücklicher Zustand mit sich und für sich erreicht wird. Das wäre so anmaßend und verkürzt. Denn es ist nuneinmal so: für einen glücklichen Zustand braucht es einen gewissen Wohlstand zur Versorgung des eigenen Körpers und erfüllung wenigstens basaler Wünsche. Und ob man in dieser Gesellschaft halbwegs wohlhabend ist, hängt von so vielen Faktoren ab, die nicht in unserer Hand liegen: Genetik (IQ, Krankheitsprädispositionen), Herkunft (biodeutsch, “gutes” Ausland (z.B. USA), “schlechtes” Ausland (Afghanistan oder auch nur Balkanstaaten)), finanzieller Background und Support der Eltern… Nur ein einziger Faktor davon bezeichnet das Bemühen. Jede*r, der*die erzählt, es hinge nur von der Willenskraft und vom Fleiß ab, ob man etwas erreicht im Leben, verteilt Schläge in die Gesichter tausender unverschuldet arm lebender Menschen.

Des weiteren wird man wohl feststellen, dass auch Wohlstand kein Garant für Glück ist, man Glück eben nicht kaufen kann, nur Comfort.

Ein edleres Möbelstück mag zwar schicker sein, eine besondere Reise exklusiver. Jedoch bleibt ein Stuhl ein Stuhl und ein Urlaub auch nur das bisschen Freizeit, dass Dir bleibt, während du den Rest deiner Lebenszeit verrauchst in absurden Formen der Lohnarbeit. Und im Angesicht des Stresslevels, das heute in vielen Unternehmen herrscht, ist es wahrscheinlich, dass auch der exklusiveste Urlaub einen nicht so richtig vom Stress ablenken kann, den man nicht wirklich da lassen kann, wo man damit konfrontriert wird (auf der Arbeit) und ihn stattdessen auch an die exotischsten Orte mitträgt, kaum mehr in der Lage, diese zu genießen und von all dem Stress abzuschalten. Gerade in akademischen Tätigkeiten mit viel Denkleistungserfordernissen scheint dies ein vorherrschendes Phänomen zu sein.

Man kann sein Geld, seinen Wohlstand auch nicht nutzen, wenn man im Austausch dafür ständig arbeiten muss, keine längere Freiphase für sich bekommen kann, aus Angst, die Arbeit und damit auch den Lebensstandard zu verlieren. Angst an sich ist auch eines der zentralen Triebwerke dieser Lohnverhältnisse, in denen Menschen sehr häufig ohne angemessenen Urlaub und mit zu hohen Überstunden ihren Alltag, ihre Lebenszeit verbringen, jedoch nicht auf ihre Rechte auf Auszeit pochen, aus Angst, die Arbeit zu verlieren. Wer Angst empfindet, kann gleichzeitig kaum Glück empfinden. Und man kann nicht zur Ruhe kommen, ohne den Freiraum, die FreiZEIT dafür. Und ohne diese Ruhe gibt es kein inneres Gleichgewicht, keinen Frieden im Inneren. Statt der fehlenden Zeit bleibt wenigstens ein Mehr an Geld nach all den Stunden auf Arbeit und es wird oft und immer öfter in Blingbling umgesetzt. Einem Mangel an Ruhe und Frieden im Inneren steht ein außen mit Blingbling gegenüber, was aber auch nicht tiefschürfend beglückt. Es erzeugt vielleicht kurze Befriedigung beim Kauf, der fast schon notwendig erscheint nach all der Zeit, die man mit der Lohnarbeit zubringt. “Für irgendwas muss es sich ja lohnen!”, ist eine so verständliche Einstellung. Das ist Befriedigungskonsum, aber Glück mitnichten. Für Glück braucht es kein Blingbling. Das ganze Blingbling scheint ab einem gewissen Grade sogar hinderlich zu sein (ab dem Grad, ab dem die Grundbedürfnisse gut gedeckt sind). Es blinkert und schillert außen und innen ist man ganz hohl, da das Leben aus Arbeit und Umsatz des Lohns in Greifbares besteht, bei gleichzeitigem Verlust an Zeit und Ruhe für das Innere, Friedliche.

Was jedoch wenn man sich einfach die Zeit nimmt, die man braucht, um auf Bedürfnisse und inneren Frieden zu achten? Dann hat man ganz schnell einen Verlust des Arbeitsplatzes zu befürchten. Und mit der Arbeit fehlt es an so vielen Mitteln für die Befriedigung der Grundbedürfnisse. Es gibt dann keine Mittel für Horizonterweiterung durch einen Urlaub oder das Erlernen eines Instruments, auch wenn man dann endlich die Zeit hätte, es zu lernen. Es reicht dann meist nicht einmal für ein gutes, gesundes Essen. Und beispielsweise Kosmetikprodukte ohne Tierversuche. Es ist nahezu unmöglich, dann im Positiven mit sich und der Welt zu konsumieren, es bleiben viele Wünsche und wenig Erfülltes dabei. Auch das klingt nicht nach Raum und Mitteln zur Selbstverwirklichung. Auch das klingt nicht nach Glücksgefühl im Alltag.

Es ist also offenbar ein strukturelles Problem, dieser unserer westlichen Gesellschaft, dass ein Zustand von Gleichgewicht und Glück nicht so ohne Weiteres für den*die Einzelne*n zu erreichen ist: Es scheint immer ein Zuviel und Zuwenig: Zuviel Arbeit, zu wenig Lebenszeit an Freizeit. Oder aber Freizeit, jedoch zu wenig Mittel für selbstbestimmtes Leben.

Davon abgesehen, gilt diese Situation nur für den kleinen Ausschnitt unserer westlichen Gesellschaft (wenn überhaupt), während dieser gesamte Wohlstand und die damit verbundene relative Lebensqualität des Westens auf dem Rücken von wahrhaftigem Elend von millionen Menschen in modernen Handelskolonien (den sogenannten Entwicklungsstaaten) aufgebaut ist.

Möchte das Märchen des “Glücks durch eigene Hand” diesen hart arbeitenden, dennoch in bitterer Armut lebenden Menschen wirklcih bescheinigen, dass sie selber schuld sind, wenn sie nicht glücklich sind? Menschenn, die genau deshalb in so schrecklicher Lage sind, weil auf dem globalen Markt immer noch günstigere Produktionsstandorte gesucht werden, damit mehr Profit beim Absatz im wohlhabenden Westen entsteht. Ein Hohn.

Näherinnen für Adidas in Bangladesh mit 16 Stunden täglicher Arbeitszeit (sieben Tage die Woche) OHNE Pause, nicht mal für die Toilette, sodass Blasen-und Nierenentzündungen sozusagen zum Geschäft gehören, standard sind bei den Näherinnen. Und das für einen Hungerlohn. Ist das wirklich ihr Problem, wenn die unglücklich sind?

Kinder, die in Indien in Erdlöchern nach bestimmtem Glitter für teure, westliche L’Oréal-Produkte zehn Stunden in Dunkelheit verbringen und dabei nicht selten sterben oder ihre Freunde sterben sehen. Ist das wirklich ihre Schuld, wenn sie es nicht geschafft haben?

Lüge!!! Es ist eben kein individuelles Problem, sondern eine “Komorbidität dieser Gesellschaft”: Unglückliche Lebensverläufe und das Fehlen von Frieden, Glück und allzu oft wenigstens befriedigten Grundbedürfnissen. Es ist im Kleinen wie im Großen direkte Auswirkung dieser Gesellschaftsstruktur. Und es ist sogar in dem Sinne erwünscht: Denn würden nicht so unglaublich viele Menschen ihre Lebenszeit in Abhängigkeit in prekären Lohnverhältnissen bei harter Arbeit verbringen, gäbe es nicht soviel Profit für die schmale Spitze der kapitalistischen Götterwelt. Und damit die breite Masse sich auch weiter abstrampelt für ‘nen Appel und ‘n Ei oder auch drei Äppel und drei Eier, jedoch ohne wirklich was davon zu haben, weil ihnen keine Lebenszeit mehr zum Genießen bleibt, wird allen die Mär vom selbstgemachten Glück erzählt. Jeder könne hier alles schaffen, er müsse sich nur bemühen. Vom ganz großen Kuchen für die ganz oben abhaben, er müsse es nur wirklich, wirklich wollen und hart genug dafür arbeiten. Und los geht das Wettrennen. Um den Kuchen, auch gegeneinander wenn es sein muss. Der Tisch, an dem die Leute vom goldenen Kuchen essen können, ist klein. Viel Platz für alle ist da ja nicht, also Ellenbogen raus.

Viele schaffen es nicht mal an den Start. Zahllose bleiben beim Rennen auf der Strecke und es werden stetig mehr. Es ist ein erwiesener Fakt: Im Spätkapitalismus schrumpft der sogenannte Mittelstand fortwährend, bei gleichzeitigem Wachsen der sogenannten Unterschicht. Und diejenigen, die stetig weiterstrampeln, fleißig, halb aus Glaube an die Mär, halb aus Angst vor dem Fall in die “Unterschicht”, merken gar nicht, wie der Stress ihnen Leben und Gesundheit raubt und ihnen die besten Jahre, ihre Lebenszeit, zwischen den Fingern zerrinnt. Und selbst, wenn sie es merken, es gibt immer ein Unten in das man nicht fallen will… Angst treibt sie weiter. Und so schnell ist ein Leben um, vielleicht hat man sein gesamtes Leben lang gearbeitet und am Ende winkt- trotz anderer Versprechen- die Altersarmut. Wie zynisch klingt da noch diese Vision, ein*e jede*r sei hier seines Glückes Schmied?!? Oder für sein Unglück selbst verantwortlich!? Es ist systemimmament, das Viele durch ein Leben in Arbeit UND Elend den exorbitanten Wohlstand Weniger verdienen. Und je höher man im Treppchen steigt, desto eher darf man ein bisschen davon abbekommen. Das ist die Belohnung, die winkt. Und wirkt. Genauso wie die Angst vor dem Unten. Eines von beidem wirkt immer, zusammen mit der Lüge von der Leiter des Glücks führt das dazu, dass sich viele Menschen in ein ewiges Hamsterrad begeben – und beim endlosen Weitterrennen treiben sie selbst die Räder an, die dieses System am Laufen halten. So lange immernoch genug Menschen mitrennen auf der Jagd nach Wohlstand und Glück, so lange immer noch genug Menschen auch in den prekärsten Verhältnissen arbeiten, so lange gibt es ein Gefälle an Macht und Wohlstand (denn nur, wer billige Arbeitskräfte findet, kann auch mit soviel Profit für wenige, ausbeuterisch, produzieren). So lange gibt es ein Unten und die Angst, da hinein zu fallen. Und ein Oben, für das es sich das Rennen zu lohnen scheint, das Rennen im Hamsterrad, ein Leben lang.Wir selbst sind dabei gleichzeitig der Stoff, der verheizt wird und das Feuer.

Aber wir sind auch gleichzeitig der Tropfen und das Meer in Bezug auf unser Konsumverhalten. Wir wollen / müssen günstig kaufen. Dabei denken wir, dass dieses Konsumverhalten eines Einzelnen ja wohl nicht ins Gewicht fallen wird. Was könne ein einzelner Tropfen schon ausrichten, wenn das Meer in eine andere Richtung treibt?! Es gibt aber keine günstige Ware.  Es gibt nur die Produkte, die ihren Preis an Herstellungsenergie und Arbeitsaufwand einfach mal kosten. Wenn sie dann sehr günstig sind, zahlt den Preis einfach jemand anderes für uns, zum Beispiel die Näherin aus Bangladesh, wenn wir ein billiges T-Shirt bei Kick erwerben.

Auch möglich ist dieser hoch bezahlte Preis durch andere bei sogenannten Markenprodukten. Möglich, dass wir das Geld zur Verfügung haben, es uns leisten können, mehr für Kleidung auszugeben, als es ein Markt wie Kick verlangt. Wenn wir dann auf den Kauf eines Statussymbols aus sind, welches im Kapitalismus gehiped wird und als angesehen gilt, also das Belohnungssystem aktiviert, wenn wir es erwerben, weil wir unseren Status aufwerten können, werden wir vielleicht was von “Namen” erwerben. Dann bezahlen wir also viel Geld für etwas, für dessen Produktion die Näherin genau so einen Hungerlohn erhält, allerdings wird mehr Profit abgeschöpft für das Krönchen der oberen 10000 der Global-Players-Eigner.

Von unserem sauer verdienten Geld treiben wir so auch mit Konsum die Räder weiter an, die die Welt in ein Oben und Unten teilen und damit Lebensverläufe fremdbestimmt festlegen- in der unglaublichen Mehrheit der Fälle zu ihrem Unglück. Wir wähnen uns als Tropfen in einem riesigen Meer an Menschen zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung. Und doch sind wir im Sinne der Einfältigkeit, mit der wir als Tropfen unsere Macht durch Konsum unterschätzen fast alle gleich in unsererer Kaufwahl und damit ein Meer an Wirksamkeit im fortwährenden Antrieb der Räder, die den einzelnen im System doch so machtlos machen.

So ist Glück und Unglück am Ende nur in ganz geringem Maße frei wählbar, ein Maß, was dennoch nicht machtlos ist!: In der bewussten Entscheidung mit dem bisschen Freiheit, die uns geblieben ist- der Konsumfreiheit- nicht das zu unterstützen, was die Räder noch antreibt, unter die andere dann geraten. Und in der bewussten Emppfindung von Demut und Dankbarkeit. Demut gegenüber denjenigen, die nach “unten” gerieten und -auch viel zu selten!- einer guten Tat an Ihnen und dem Wissen, dass es nicht ihre Schuld ist, dass sie ein ungleich ärmeres Leben führen. Und ja: auch Dankbarkeit dafür, dass man offenbar auf der erträglicheren Seite des Lebens gelandet ist. Warum  sollte diese zu Glück führen? Nun, so oft wird Glück mit “Etwas bekommen” gleichgesetzt- was wiederum sehr verständlich ist in der Konsumgesellschaft, in der wir aufwuchsen und leben. Viel subtiler und unbemerkter, dabei so gewichtig ist jedoch das Glück durch die Abwesenheit von Übeln. Die Abwesenheit von Krieg, Krankheit, von misslichen körperlichen Zuständen, gegeben etwa durch ein warmes Bett, eine warme Mahlzeit, Trinkwasser in ausreichenden Mengen, und die Möglichkeit, ohne Angst vor Angriffen oder Übergriffen schlafen zu können. Die Abwesenheit von Folter und Peinigung, von Mobbing und Diskriminierung,… Man merkt bei so vielem erst, was darin für ein Glück lag, wenn man plötzlich den sich daraus ergebenen, friedlich glücklichen Zustand nicht mehr hat; von Krieg, Krankheit und Entbehrung geplagt ist.

Doch auch wenn Glück auch bei uns begrenzt ist durch so viele gesellschaftliche Zustände, ist es dennoch nicht zwangsläufig begrenzt in der empfundenen Qualität. Es kann auch mit wenig viel Glück in einem entstehen. Nicht, weil wir Ratgeber kaufen und Realität ignorieren und verschleiern. Oder ewig weiterhasten ohne Ruhe und Frieden. Sondern trotz Erkennens der Ungereimt- und Unfreiheiten; vielleicht sogar als ersten Schritt in eine bessere Welt, wie ein Lächeln, wie ein “Trotzdem!” im Inneren seiner selbst.

Und was diesem “Trotzdem!” innewohnt, ist größer als die Idee des privaten Glücks, das einem durch Ratgeber versprochen wird. Es ist größer und wichtiger, da es weniger vereinzelt. Denn es ist die Zuversicht, dass ein besseres, glücklicheres Miteinander möglich ist- für Alle! Und das Niemalsaufhören, sich darum zu bemühen, in welcher Form auch immer, ist Glück und Versprechen dafür zugleich.

 

————————————————————————————————————————————————> Nachtrag. Ich persönlich finde – und das ist durchaus validiert in meinem Leben bisher- dass es am meisten Glück verspricht und bringt, wenn man nicht darauf wartet, dass es zu einem findet, in welcher Form auch immer, sondern wenn man es selber gibt. Wenn man anderen Glück bereitet, die vielleicht gerade in einer nicht so “glücklichen” Lebensposition sind, kann das mindestens kleine, warme innere Freuden spenden, die sich in beiden wohlig ausbreiten; wenn nicht gar zu lang anhaltendem täglichen Glück führen. Auch in zwischenmenschlichen Beziehungen habe ich das Gefühl, dass die Erwartungshaltung an den anderen, er solle das ganze Glück für einen bedeuten, einen, ja beide, nur unglücklich werden lassen kann. Selber das Glück sein und schenken, selber das Glück im Miteinander basteln und wissen, dass auch bei einem die Verantwortung zu diesem gemeinsamen Glück liegt… das entlastet den anderen um den Druck der Erwartung durch die Glückserfüllung und es macht viel mehr Spaß und hat mit Sicherheit mehr Bestand. Weil es unglaublich viel zurück gibt, wenn man selbst Glück für den Anderen schafft, weil es wahrscheinlich eine wesentliche Zutat für Liebe scheint, diese vor allen Dingen zu geben und weil das Wir dann gemeinsam erbaut länger hält, wenn beide daran basteln und damit auch glauben. Geben und Glück haben vieles gemeinsam, gehen mit Sicherheit zumindest Hand in Hand. Das ist zwar ganz anders, als es einem in dieser Gesellschaft anerzogen wird, aber so vieles, was in dieser Gesellschaft anerzogen wird, bringt vor allen Dingen unglückliche Individuen hervor, und dagegen zu kämpfen ist so wichtig.

So wird durch das kleine und große Geben von Materiellem und vor allem Nichtmateriellem unser Miteinander und auch das gesamte Miteinander mit Sicherheit um Welten wärmer. Und das kann nur gut sein: Für die Beteiligten in dem Moment und für die Gesellschaft als Ganzes mit Sicherheit auch.

Should I stay or should I go? Oder: Dachs und Igel allein unter Menschen…

Heute wurde ich Rezipientin einer sehr befremdlichen Geschichte.  So wurde mir geschildert, wie ein Dachs einen Igel zerlegt hatte – wissend, wo die Schwachstelle ist und ihn dann dort … aufmachend, langsam verzehrend unter seinen lauten Todesschreien, während ein zweiter Igel bei ihm blieb, ihn nicht im Stich lies.

Die Person, die das geschildert hatte, war in die Szenerie geraten, weil sie die Schreie gehört hatte. Sie hatte dann den Dachs zunächst vertrieben,  jedoch nicht weiter eingegriffen und die Igel sich selbst und später dem Dachs überlassen, als dieser zurück kam und die Schmerzensschreie weiter durch die Nacht gellten. Am nächsten Morgen waren wohl beide Igel verschwunden und die Person, die mir diese Geschichte erzählte, war traurig bis ratlos, in der Situation jedoch einfach überfordert. Eigentlich sehr warmherzig, war sie in diesem Moment an einem Punkt, an dem sie nicht mehr konnte, auch mal schlafen wollte, sich unsicher war, ob das denn nicht so “sein muss” in “der Natur” und Eingreifen für beide Seiten nicht eher von Nachteil wäre (weil der Dachs dann Hunger leiden würde und der Igel eh elendig einginge).

Das Resultat ist nun bekannt und der emotionale Nachlass für sie und auch für mich als schlichte Zuhörerin irgendwie bedrückend.

Es verbleiben Fragen wie: Muss das wirklich so? Bleibt es bei so grausamen Beobachtungen und Fakten wie: Ja, Dachse fressen auch Igel (und nicht nur Aas und anderes, Nichtlebendiges). Ja, der Igel leidet und schreit lange, denn es ist ein langsamer Prozess.

Bleibt es bei der Erkenntnis, dass Natur immer wieder auch knallhart und grausam ist?

Nach kreuzweisen Betrachtungen und Dialogen mit  “verbrieften Naturverständigen” (Biologen) verbleibt in mir der Gedanke, dass es stimmt: In der Natur geschehen immer wieder auch knallharte Szenen. Der Verzehr der eigenen Nachkommen ist ein Beispiel dafür, die Beobachtung des Dachses ein weiteres. Das Alles lässt spontan ein Gefühl der Entzauberung entstehen – es ist eben nicht malerisch-romantisch, friedlich und ruhig. Es ist immer wieder auch stahlhart.  Andere Erkenntnisse – wie die von den Bäumen (Rotbuchen), die sterbende Nachbarn über Jahrzehnte über die Wurzeln mit Nährstoffen versorgen, damit sie nicht jämmerlich eingehen (Wohlleben, 2015) – verzaubern Bereiche, in denen Natur vielleicht nüchtern und isoliert betrachtet wurde. So wird Detail für Detail der Blick des Betrachtenden korrigiert – Bereiche entzaubert, andere wieder verzaubert auf eine Art.

Letztlich ist Natur jedoch kein Schaubild und erhaben über menschlich kleine Gefühlsaufladungen. Sie ist weder gut noch schlecht, grausam noch romantisch. Sie ist einfach. Und sie ist viel zu divers, unergründlich, unfassbar mannigfaltig in alle Richtungen, als dass mensch sich ein Urteil darüber erlauben könnte. Die Zuschreibungen von menschlichen Bewertungskategorien sind ebenso zutiefst menschlich wie absurd und nicht treffend in diesem Zusammenhang. Diese unsere Spezies hat viel auseinandergetrieben, seziert, isoliert, steril beobachtet, atomisiert und wird es doch nie ganz begreifen – die Natur. Und das, weil das Ganze mehr ist, als die Summe seiner Teile. Und auch, weil wir als Teil von ihr arrogant wären zu glauben, wir könnten das große Ganze WIRKLICH erfassen. Wie menschlich überheblich und beschmunzelnswert… könnte sie uns anschmunzeln, die Natur.

So ist es denn für mich als wertfrei zu betrachten, was zwischen Dachs und Igel geschah. Habe ich weder die Einsicht, welcher Hunger den Dachs plagte, noch ob er oder sie Junge versorgen musste, noch ob er oder sie selbst irritiert davon war, wie es war. Auch muss mensch betrachten, dass die Reflexion, die Perspektivenübernahme nicht pauschal anderen Spezies gegeben ist. So ist dem Dachs mutmaßlich der Schmerz des Igels nicht  bewusst.

Wem der Schmerz des Gegenübers jedoch bewusst ist, ist der Mensch. Der Mensch kann abstrahieren, Perspektive übernehmen, geplant willentlich Schaden bis Folter zufügen – und aber auch geplant und willentlich zugunsten des Gegenübers Handeln, verzichten, Milde und Fürsorge geben, Mitgefühl für gänzlich entfernte Spezies empfinden und in Taten umsetzen. Und wenn auch nicht klar ist, ob und in welchem Maße andere Spezies diese Wärme können, so wissen wir es doch sehr sicher über den Menschen, dass er die Fähigkeit der Perspektivenübernahme im Grunde beherrscht. Wir wissen es, weil wir selbst Menschen sind.

Das ist eine Fähigkeit, die menschliches Verhalten als konsequenzBEWUSSTES zeichnet und damit seine Handlungen bewertbar macht. In Bewertungskategorien wie “grausam”, “mitfühlend”, “liebevoll”…

So ist es einzuordnen, was Menschen mit anderen Lebewesen machen oder lassen. Und so ist es auch einzuordnen, wenn Menschen Hilfe verwehren oder unterlassen.

Ist es aber “unterlassene Hilfe”, den eingangs beschriebenen Igel in seiner Not liegen zu lassen und den Dachs später weiter sein Treiben nachgehen zu lassen?

Zugegeben, es gibt Fälle, bei denen ist die Einordnung leichter, offensichtlicher. In diesem Fall ist die Unklarheit bezüglich des Hungers des Dachses und des “Laufs der Dinge” in der Natur sicherlich ein starkes Argument für das Nichteingreifen. Auch kann ich die Überforderung der Person und das Zögern, in “natürliche Vorgänge” einzugreifen absolut verstehen.

Allein, ich hätte anders gehandelt- handeln müssen. Meine innere Gefühlswelt und Perspektivenübernahme, meine allgemeine Ansicht hätten ein Weggehen nicht zugelassen.  Die Natur ist, meiner Ansicht nach, eben kein Schaubild, an das man nicht rühren darf und das man wie ein Kinofilmbetrachtender von außen sieht. Sie ist auch nicht für unseren dilettantischen Pfusch zu Diensten, der hier alle paar Meter geschieht – zweifellos. Aber sie ist eben auch kein Kinofilm, den ich ohne Interaktion betrachte. Sie ist mannigfaltige Interaktion von ungezählten Lebewesen, ungezähltem Lebendigen. Lebendig, so wie wir. In dem Moment, in dem ich in die Szene stolpere, in der der Dachs den Igel ausweidet, sind sie darin nicht mehr zu dritt wie eingangs beschrieben ( den zweiten Igel, der den ersten nicht verließ, mitgezählt), sondern zu viert. Ich bin ebenso Individuum wie alle anderen dort und stoße mit meiner Sicht der Dinge, meiner inneren Welt und meinen Fähigkeiten zur Perspektivenübernahme (zur Draufsicht?) dazu. Ich sehe nicht nur, dass der Dachs Hunger empfindet, sondern auch, wie stark der ausgeweidete Igel leidet. Ist es dann einmal soweit, dass der Dachs kurz das Weite sucht, so bin ich in der Lage, es für alle erträglicher zu machen – egal, in welche Richtung. Der Dachs verzehrt ganz unterschiedliche Kost und wäre auch mit anderem zu begnügen, wäre es noch möglich, dem Igel zu helfen. Wäre das nicht mehr der Fall, so ist ein kurzes Ende für den Igel wohl barmherziger, als weiteres, stundenlanges Leiden durch das Verzehrtwerden bei lebendigem Leib. Und der Dachs würde auch einen toten Igel noch essen, denn er ist kein Aasverächter.

An dieser Stelle müsste ich mich also, aufgrund dessen, was ich in die Situation mitbringe an Sehen und Wissen, Fühlen und Mitfühlen, für ein Beenden des Leids – nicht zu Lasten des Dachses entscheiden. Alles andere wäre wider mein gesamtes Inneres.

Dies sei jedoch keine “Ver- oder Beurteilung” des Verhaltens der oben geschilderten Person. Es ist mir verständlich, dass sie überfordert war und auch ein einmal zurückgezogener Dachs eine “Igelhilfsaktion” zur Beendigung seines Leids (in welcher Form auch immer) nicht immer hervorrufen kann in solch einer Situation der Überforderung und der Fragen, ob das denn jetzt so sein müsse, eben “Natur sei”, auch wenn der Dachs später weitermacht und das Schreien und Sterben weitergeht.

Es ist vielmehr eine  Betrachtung der Situation in Ruhe und ohne Handlungsdruck. Eine Erkenntnis, dass es keinen Grund gibt, nicht einzugreifen für mich selbst. Dass es auch rational begründbar ist, was innerlich sowieso mein “Diktat” gewesen wäre: Nicht anders zu können, als zu helfen.

Und es ist ein Aufruf, keine Skrupel vor Mitgefühl und Hilfe zu haben, solltet ihr Lesenden einmal Teil einer solchen Situation werden. Leiden zu erkennen und es zu beenden (egal in welche Richtung – auch mit einem schnellen Ende, wenn ihr es denn könnt und es unausweichlich käme), ist auch Größe und etwas, das nur der erkennende Part in einer solchen Situation verüben kann (und der sind nun mal wir Menschen). Dem vermeintlichen Aggressor dabei nicht seine Bedürfnisse abzusprechen und sie leidärmer zu ermöglichen (Ersatznahrung, toter Igel), ohne ihn zu bewerten oder gar abzuwerten, ebenso. Alles in Allem für alle beteiligten Individuen kein Verlust, aber ein besserer Ausgang. Alles in Allem ein Erkennen und Handeln im Guten. Weil auch wir Teil der Interaktionen der Natur sind und immer sein werden – und wir gerade in einem solchen Fall keine verklärte Ansicht von Natur als Schaubild, in das nicht einzugreifen ist, haben sollten. Nicht, wenn wir unmittelbar in die Situation geraten und es auch unser Inneres unmittelbar betrifft. Wir und unsere Interaktionen in und mit der Natur haben eh Auswirkungen – jede Sekunde, Minute, Stunde, jeden Tag. Meist negative für so viel Lebendes.

Warum nicht einmal auf positive Art wirken – so weit als möglich für alle Beteiligten?

Warum nicht einmal auch im Guten? Das zu sehen und zu versuchen, dafür mögen diese Gedanken Anregung sein.

 

el.Frida.e

Von Jägern und Sammlern

Ich sammel Trümmerteile der Gesellschaft. Unter’s Rad des Raubtieres Kapitalismus gekommene Wesen. Manchmal vernarbt, manchmal zersplittert in tausend Scherben.

Und wenn wir dann im Schutze unserer bescheidenen Gemeinschaft Stück für Stück unsere antrainierten Schneckenhäuser verlassen, uns öffnen und Puzzleteile zur vergangenen Größe zusammenfügen, Splitter entfernen und Korsette zerschneiden, dann… dann ist für einen kurzen Moment Sonnenaufgang in all seinen satten, warmen Farben.

Durchaus fähige Wesen strahlen dann wie Rohdiamanten, die sie einst waren und die beim Zurechtschleifen zersprangen. Die Luft ist klar, der Atem geht tief, die Augen blitzen und Wunden heilen.

Immerwieder werden diese Schmetterlinge unter den Augenblicken vom Alltag eingefangen.

Aber für diese Momente, für dieses: Trotzdem! lebe ich.

Also vielen Dank! an diejenigen Menschen, die durch Scheitern und verwundbar sein dem allgemeinen Plastikleben Lebendigkeit entgegensetzen und dabei eine Weisheit besitzen, die man nur erlernt, wenn man diese Erfahrung einmal machen musste: das Scheitern. Das Verwundetwerden.

So ist doch jedes Scheitern und Verwundbarsein gleichzeitig auch radikale Gesellschaftskritik.

Oder was bedeutet es für ein System, wenn Menschen beim Versuch, ihm gerecht zu werden, kaputtgehen?

Und ist es überhaupt sinnig, in so einem System als Gewinner*in mitzuspielen? Will man das wirklich oder treibt einen nur die Existenzangst und der antrainierte Leistungsgedanke dazu?

Scheitern heißt auch die Stärke zu haben, sich gesellschaftlichen Wunschvorstellungen zu widersetzen. Damit meine ich nicht nur anerkannte Gesellschaftsnormen aus Medien und Schulen. Ich meine auch Familienvorstellungen, Freundeskreisdiskussionen, Nachbarblicke, kurze Gespräche mit Bekannten – in einer Gesellschaft, in der NICHT primär zählt, ob du ein toller Mensch bist, sondern welche Karriere du dir mit Ellenbogen erarbeitet hast – in dieser Gesellschaft ist berufliches Scheitern mutig.

Es lässt unweigerlich Fragen entstehen: Warum es möglich sein kann, dass sich Menschen zwar anstrengen, aber eher kaputt gehen, als das Laufradtempo halten zu können. Warum das Laufrad überhaupt so ein hohes (ungesundes) Tempo hat. Warum man Ellenbogen braucht, obwohl doch alle dasselbe wollen: einen halbwegs wertvollen Platz in der Gesellschaft und ein friedliches Leben. Warum es überhaupt ein Laufrad gibt, wo doch genug Nüsse und Körner für alle Hamster da sind. Und warum immer mehr Hamster draußen liegen.

Dieser Text ist auch und vor allem für die Hamster, die außerhalb des Laufrades liegen. Für die Hamster, die das Laufen nicht mehr können, weil sie wund vom vielen Laufen oder deshalb schon gar nicht mehr sind.

Ihr seid mahnende Kritik am Laufrad. Ihr, ob tot oder lebendig, seid auch Widerstand gegen Verwertungskultur. Ihr seid Scheiterungskünstler und Anzeiger für krasse Zustände. Ihr seid die beste Gesellschaft in dieser Gesellschaft, weil ihr wisst, wie schief das Rad längst läuft. Weil ihr die Draußen-, die Draufsicht habt und den Schmerz, der genau dieser Position innewohnt, kennt. Ihr seid Rohdiamanten und wundervoll, selbst in Scherben so viele Farben erzeugend. Ihr seid Überlebenskünstler, und dass es euch gibt, schafft Halt, schafft Mut.

Und sollte es eines fernen Tages einmal ein Kapitalismusmuseum geben und ein neues Miteinander möglich sein, dann braucht es genau solche Menschen: Warm und mitfühlend, umsichtig, vulnerabel, begabt, oft bescheiden, mit Narben, ja. Narben, die aber überlebt wurden. In diesem Sinne: Auf euch, auf die Zukunft!

el Frida e

Der ganze Trash in mir ist so laut, dass ich mein Herz nicht höre… -Passivität statt Solidarität… eine Reaktion auf TV-Konsum?

Es fällt immer wieder auf, dass die geschätzte Aufmerksamkeit und das “Mitfiebern” der Leute im allgemeinen Alltagsgewusel weniger realen Mitmenschen und ihren realen Problemen gilt und stattdessen mehr und mehr Charakteren in Serien / Realityshows und dem Verlauf dieser.

Das liegt vielleicht daran, dass viele Menschen zum Abspannen vom Alltag zum Beispiel den Fernseher bemühen, dort an den fortlaufenden Serienbetrieb gebunden werden mit Cliffhangern, “Effekthascherei”, …

Diese Effekte und die Action (gerade auch die gewalthaltige), die über Spannungserzeugung zum Binden des Konsumenten verwendet werden, lassen Letzteren jedoch auch abstumpfen bei regelmäßigem Konsum.

Zudem lernt der/die  Konsument*in beim Verfolgen einer Serie auch, dass Mitgefühl / Mitfiebern indes völlig nutz- und wertlos ist, da es sich bei den Adressaten um Seriencharaktere handelt, denen man das weder nahe bringen kann, noch ihnen zur Hilfe eilen.

Der/die Zuschauer*in erlernt, dass Mithilfe in seiner/ihrer passiven Rolle unnütz ist und somit wird auf Dauer passives Konsumieren eher die resultierende Handlung sein, als aktives Empathieverhalten.

Dieses oben genannte Abstumpfen, zusammen mit der Tatsache, dass mensch nur die passiv-konsumierende Rolle einnimmt, ohne jemals eingreifen / helfen zu können, lässt vielleicht auch seine Wirkung nicht aus bei Konfrontationen mit realen Menschen mitten in realem Elend.

Letztlich resultiert dies in Situationen,  in denen Menschen teilnahmslos bis abgewandt von realen Gegenübern in Not / Elend (zum Beispiel Obdachlose) sind, da diese unmöglich so spannend erscheinen wie Charaktere in den Serien, die Menschen ihrerseits zudem eben abgestumpft sind gegenüber Leid, das sie sehen (und viel zu oft als quasi normal in verschiedensten Formaten des TV sahen), während sie möglicherweise ihr Mitgefühl wieder und wieder als nutzlos in der Konsumsituation erfahren und damit verlernt haben.

Und so kommt es dann zu diesen eigentlich unfassbaren Szenen, in denen reale Menschen reales Leid erleben und doch nur passiv verbleibend gucken und weitergehen, selbst beim Äußersten…

Da bleibt für mich ganz klar der Wunsch: Öfter die Glotze aus und rausgeschlüpft aus der passiven Konsumentenrolle, auf die man dort zugeschrieben wird –  rein in ein solidarisches Miteinander. Nichts tut so gut wie aktive Hilfe. Für alle Seiten ein Geschenk, zweifellos.

 

Chill mal dein Leben! Moment mal… geht das überhaupt?

Die Zunahme an psychischen Krankheiten, die stress- und überlastungsbedingt auftreten, wird in den Medien immer wieder mal erwähnt. Zudem gibt es auch genug körperliche Erkrankungen, die dauerhaftem Stress zuzuschreiben sind. Der Herzinfarkt als klassisches Beispiel ist dabei weithin bekannt. Das deutet letztlich darauf hin, dass der Lebensstil, vielmehr aber der Arbeitsstil ( denn wo sonst wird Stress wesentlich generiert, als im Beruf?) selbst bei augenscheinlich oberflächlicher Anpassung der Leute, ihnen doch in gewisser Hinsicht gesundheitlich nicht gut tut, vielmehr: schadet. Vermeintliche Hinweise von Magazinen, die sich mit stressbedingten Erkrankungen beschäftigen: ” Man solle seinen Lebensstil entsprechend anpassen und entschleunigen”, wirken dabei wie blanker Hohn. Warum Hohn? Weil es dem Individuum zugeschrieben wird, den Stress a) offenbar selbst zu generieren, denn es könnte ihn b) ja auch selbst herunterfahren.

Dass allerdings in einem System, das offenbar nicht mehr für die in ihm lebenden Menschen existiert (sondern dem Generieren von Mehrwert auf dem Rücken einer immer größeren Masse), ein einzelner Mensch seinen Stress kaum mehr beeinflussen kann, ist eigentlich klar: Will der Mensch gut und angepasst in der Mitte der Gesellschaft leben, muss er erfolgreich an Ausbildung und Arbeit teilnehmen. Somit beginnt schon in Schule  und Ausbildung Konkurrenz und Leistungsdruck, um mit bestmöglichen Noten später die größte Arbeitsplatzwahl – oder besser: überhaupt eine Chance – zu haben. Die Angst, hierbei abgehängt zu werden, ist dabei der größte Motivator.  Damit aber spielt Stress eine entscheidende Rolle. Schulkinder mit Depressionen sind traurige Zeugen dieses Druckmoments.

In der Schwebe der Wahl des Arbeitsplatzes dann besteht ein beständiges Castinggefühl mit aller dazugehörenden Angst vor Ablehnung (= “nicht gut genug zu sein?”), auf der Strecke zu bleiben, ständigem neu Hoffen und Bangen und des Gefühls, dass Menschen, die sich eigentlich für gleiche Inhalte und Lebenswege interessieren wie man selbst (und von daher für einen angeregten Austausch miteinander spannend erscheinen sollten), plötzlich als Konkurrenz um den begehrten Arbeitsplatz empfunden werden.

Hat Mensch dann endlich einen Arbeitsplatz, findet er sich selten in einer Stelle wieder, die ihn nach seinen Fähigkeiten entlohnt, sondern häufig den Preis auf das Minimum drückt –  anderes rechnet sich für ein Unternehmen meist nicht. Ausgehöhltes Arbeitsrecht, Überstunden, personale Reibereien, Angst vor Arbeitsplatzverlust und damit verbundene Existenzängste, von denen ein ständiges Gefühl des Müssens ausgeht, um den antreibenden Ängsten irgendwie zu begegnen, das alles generiert funktionierende, kleine Arbeitsroboter. Arbeitsroboter mit Stresshormonen im Blut. Die auf Dauer das Immunsystem negativ beeinträchtigen, den Schlafrhythmus durcheinanderbringen, die Ernährung erschweren und das Nervenkostüm ausdünnen. Sukzessive ergeben sich eine ganze Reihe körperlicher und psychischer Symptome, die den passend gemachten Arbeitsroboter bei fortschreitendem Stress befallen. Je nach Veranlagung und Ressourcen geschieht das mehr oder weniger, schneller oder langsamer. Und offensichtlich geschieht es als Folge der Anpassung an die Mechanismen aus Druck, Leistungserwartung, Existenzangst, die in dieser Gesellschaft systematisch greifen, um Menschen bei immer schlechteren Konditionen zu gleichbleibend hoher Arbeitsbereitschaft und generiertem Mehrwert zu bewegen.

Und dann gibt es in dem netten Magazin den Rat, stressärmer,  entschleunigter zu leben und Mensch verortet seinen Stress in sich – nicht hinterfragend, ob dieser nicht großteilig systemgeneriert ist. Sich vielleicht noch stressend mit dem Gedanken, nicht entspannt genug, angepasst genug zu sein. (“Warum macht mir alles so zu schaffen? Andere schaffen es doch auch! Ich MUSS besser damit klarkommen!”) Es wird wieder eine Fehlerverortung im Selbst vorgenommen und Druck zur Selbstoptimierung aufgebaut. Das bedeutet jedoch meist noch mehr Stress und ist folglich noch schlechter für die Gesundheit.

So wird der Einzelne durch sich selbst  und durch andere auf Anpassungsschwierigkeiten zugeschrieben, wenn er körperliche oder geistige Stresssymptomatiken zeigt. Was dabei nicht in den Fokus gerät und auch gar nicht geraten soll, ist, dass das System in seiner Konstruktion und Art, wie es die Menschen in ihren Lebenslauf einbindet, den permanenten Stress generiert. Was auch nicht oder nur peripher auffällt, ist, dass immer mehr “Einzelne” solche Stresskrankheiten haben. Was eigentlich ein Indiz dafür sein sollte, dass es im Einzelnen nicht verortet sein kann, da es kein Einzelfall mehr ist.

Es geht aber offenbar nicht darum, den Menschen ihren Stress wirklich nachhaltig zu nehmen, sondern viel eher darum, das Maximum herauszuholen – und das scheint optimal nicht mit entspannten Individuen, sondern mit “etwas Druck”. Das System mag sich dieser erzeugten Zwänge in größerem Stil erst annehmen, wenn diese Gewinnoptimierung kippt, zu viele “Einzelfälle” stressbedingt ausfallen und nicht mehr Mehrwert, sondern Kosten generieren.  Bis dahin scheint die Selbstoptimierungsmühle bereitwillig gespielt und der Druck gerne noch etwas hoch gesetzt zu werden. Zum Melken des Goldesels Staatsbürgertum. Die Kosten verbleiben beim Individuum. Und sie belaufen sich auf die Gesundheit. Aber da die Altersarmut ab 2030 eh bei  ~ 40% der Bevölkerung eintreten wird, ist Altwerden für viele auch nicht mehr das sexy Ziel von früher. Oder wie?

Von daher ein gutes Konzept: Das erwerbstätige Individuum stirbt zum hochgesetzten Renteneintrittsalter an stressbedingtem Herzinfarkt und kostete das Unternehmen und den Staat damit als Musterbürger keinen Cent. Kein Wunder also, dass es kein Interesse an systembedingtem  Stressabbau gibt. Es hätte weniger Arbeitszeit, weniger Leistung und weniger Gewinne zum Ergebnis und darum geht es doch bei der Religion Kapitalismus: Gewinne und Mehrwert. Die Menschen sind da nur Mittel zum Zweck, ihre Gesundheit bittesehr privat.

Erst wenn es zu vorzeitigen Arbeitsausfällen kommt und es viele Menschen sind, wird es bemerkens- und systemrelevant. Vielleicht wird dann auch eine konzeptuelle Änderung erwogen. Immerhin. Wie wir eingangs bemerkt haben sind wir mit den steigenden Zahlen der Stresskrankheiten dann ja auf dem besten Weg!

el.Frida.e