Von Jägern und Sammlern

Ich sammel Trümmerteile der Gesellschaft. Unter’s Rad des Raubtieres Kapitalismus gekommene Wesen. Manchmal vernarbt, manchmal zersplittert in tausend Scherben.

Und wenn wir dann im Schutze unserer bescheidenen Gemeinschaft Stück für Stück unsere antrainierten Schneckenhäuser verlassen, uns öffnen und Puzzleteile zur vergangenen Größe zusammenfügen, Splitter entfernen und Korsette zerschneiden, dann… dann ist für einen kurzen Moment Sonnenaufgang in all seinen satten, warmen Farben.

Durchaus fähige Wesen strahlen dann wie Rohdiamanten, die sie einst waren und die beim Zurechtschleifen zersprangen. Die Luft ist klar, der Atem geht tief, die Augen blitzen und Wunden heilen.

Immerwieder werden diese Schmetterlinge unter den Augenblicken vom Alltag eingefangen.

Aber für diese Momente, für dieses: Trotzdem! lebe ich.

Also vielen Dank! an diejenigen Menschen, die durch Scheitern und verwundbar sein dem allgemeinen Plastikleben Lebendigkeit entgegensetzen und dabei eine Weisheit besitzen, die man nur erlernt, wenn man diese Erfahrung einmal machen musste: das Scheitern. Das Verwundetwerden.

So ist doch jedes Scheitern und Verwundbarsein gleichzeitig auch radikale Gesellschaftskritik.

Oder was bedeutet es für ein System, wenn Menschen beim Versuch, ihm gerecht zu werden, kaputtgehen?

Und ist es überhaupt sinnig, in so einem System als Gewinner*in mitzuspielen? Will man das wirklich oder treibt einen nur die Existenzangst und der antrainierte Leistungsgedanke dazu?

Scheitern heißt auch die Stärke zu haben, sich gesellschaftlichen Wunschvorstellungen zu widersetzen. Damit meine ich nicht nur anerkannte Gesellschaftsnormen aus Medien und Schulen. Ich meine auch Familienvorstellungen, Freundeskreisdiskussionen, Nachbarblicke, kurze Gespräche mit Bekannten – in einer Gesellschaft, in der NICHT primär zählt, ob du ein toller Mensch bist, sondern welche Karriere du dir mit Ellenbogen erarbeitet hast – in dieser Gesellschaft ist berufliches Scheitern mutig.

Es lässt unweigerlich Fragen entstehen: Warum es möglich sein kann, dass sich Menschen zwar anstrengen, aber eher kaputt gehen, als das Laufradtempo halten zu können. Warum das Laufrad überhaupt so ein hohes (ungesundes) Tempo hat. Warum man Ellenbogen braucht, obwohl doch alle dasselbe wollen: einen halbwegs wertvollen Platz in der Gesellschaft und ein friedliches Leben. Warum es überhaupt ein Laufrad gibt, wo doch genug Nüsse und Körner für alle Hamster da sind. Und warum immer mehr Hamster draußen liegen.

Dieser Text ist auch und vor allem für die Hamster, die außerhalb des Laufrades liegen. Für die Hamster, die das Laufen nicht mehr können, weil sie wund vom vielen Laufen oder deshalb schon gar nicht mehr sind.

Ihr seid mahnende Kritik am Laufrad. Ihr, ob tot oder lebendig, seid auch Widerstand gegen Verwertungskultur. Ihr seid Scheiterungskünstler und Anzeiger für krasse Zustände. Ihr seid die beste Gesellschaft in dieser Gesellschaft, weil ihr wisst, wie schief das Rad längst läuft. Weil ihr die Draußen-, die Draufsicht habt und den Schmerz, der genau dieser Position innewohnt, kennt. Ihr seid Rohdiamanten und wundervoll, selbst in Scherben so viele Farben erzeugend. Ihr seid Überlebenskünstler, und dass es euch gibt, schafft Halt, schafft Mut.

Und sollte es eines fernen Tages einmal ein Kapitalismusmuseum geben und ein neues Miteinander möglich sein, dann braucht es genau solche Menschen: Warm und mitfühlend, umsichtig, vulnerabel, begabt, oft bescheiden, mit Narben, ja. Narben, die aber überlebt wurden. In diesem Sinne: Auf euch, auf die Zukunft!

el Frida e